Vierter Artikel. Nicht auf Christum selbst, sondern bloß auf andere bezieht sich die Wirkung des Priestertums Christi.
a) Das Gegenteil wird bewiesen. Denn: I. Zum Amte des Priesters gehört es, zu beten für das Volk: „Und es beteten die Priester für das Volk, während das Opfer dargebracht wurde.“ Christus aber betete auch für Sich. Also erstreckte sich die Wirkung seines Priestertums auch auf Ihn selber. II. Christus hat Sich selbst in seinem bitteren Leiden als Opfer dargebracht. Durch sein Leiden aber verdiente Er nicht nur für andere, sondern auch für Sich selbft. Also wirkte das Priestertum Christi auch auf Ihn selbst. III. Das Priestertum des Alten Bundes war eine Figur des Priestertums Christi. Im Alten Bunde aber opferte der Priester nicht nur für andere, sondern auch für sich, nach Lev. 16.: „Der Hohepriester soll treten in das Heilige, daß er für sich bete und für sein Haus und für ganz Israel.“ Auf der anderen Seite wird im Konzil von Ephesus (l. c.) gelesen: „Wenn jemand sagt, Christus habe für Sich geopfert und nicht vielmehr für uns allein (denn nicht bedurfte Er eines Opfers, da Er von der Sünde nichts wußte); der sei im Banne.“
b) Ich antworte, der Priester sei Mittler zwischen Gott und dem Volke. Eines Mittlers aber bedarf jener, der für sich allein nicht herantreten darf. Christus nun „trat durch und für Sich allein zu Gott, immer lebend, um uns beizustehen“ (Hebr. 7.). Christo also gebührte es nicht, eine Wirkung seines Priestertums in Sich selber aufzunehmen. Denn der ersteinwirkende in einem Seinsbereiche ist so einwirkend, daß er im Bereiche jener Seinsart nicht empfängt; wie die Sonne leuchtet und nicht erleuchtet wird; das Feuer wärmt, nicht aber erwärmt wird. Christus aber ist der Urquell alles Priestertums. Der Priester im Alten Bunde nämlich war die Figur Christi; der Priester im Neuen Bunde aber wirkt in seiner Person: „Wenn ich etwas verziehen habe,“ heißt es 1. Kor. 2., „das habe ich verziehen eueretwegen in der Person Christi.“ In Christo also war keine Wirkung seines eigenen Priestertums.
c) I. Das Gebet kommt wohl den Priestern zu; ist aber nicht gerade ein wesentlicher Bestandteil ihres Amtes. Denn jeder muß beten für sich und für andere, nach Jakob, ult.: „Betet füreinander, daß ihr selig werdet.“ Und somit wäre das Gebet Ghristi für sich kein Akt seines Priestertums gewesen. Jedoch scheint der Apostel diese Antwort auszuschließen, nach Hebr. 5., wo es heißt: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedech“ und gleich darauf: „Der während seines zeitlichen Lebens Gebete etc.“ Deshalb muß man sagen, daß alle anderen Priester die Wirkung ihres Priesteramtes als Sünder in sich aufnehmen und nicht präcis als Priester, Christus aber hatte keine Sünde. Er hatte jedoch die Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde, nach Röm. 8. Also hat Er nicht schlechthin eine Wirkung seines Priestertums in Sich gehabt, sondern nur nach einer gewissen Seite hin, nämlich gemäß der Leidensfähigkeit seines Fleisches; weshalb es in jener Stelle ausdrücklich heißt: „Der Ihn vom Tode errette.“ II. Im Darbringen des Opfers auf seiten eines jeden Priesters kann zweierlei beobachtet werden: 1. das dargebrachte Opfer und 2. die Andacht des Darbringers. Die dem Opfer als solchem nun eigene Wirkung ist die, welche aus dem Opfer selbst folgt. Christus aber hat die Herrlichkeit der Auferstehung verdient, nicht kraft des Opfers als solchem, sondern durch die Art und Weise seiner Genugthuung, durch die Andacht und Hingebung selber, mit welcher Er das Leiden ertrug. III. Die Figur erreicht nie die Wahrheit. Der Priester des Alten Bundes also konnte niemals dazu gelangen, daß er so vollkommen sei, um der Sühne des Opfers nicht zu bedürfen. Dies sagt der Apostel, Hebr. 7.: „Das Gesetz hat Menschen zu Priestern gemacht, die da Schwäche an sich tragen; das Wort des Eidschwures aber, das nach dem Gesetze ist, den Sohn, der in Ewigkeit vollendet ist.“
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