Erster Artikel. Es war zukömmlich, daß Christus den Juden nur und nicht den Heiden predigte.
a) Dem steht entgegen: I. Isai. 49.: „Wenig ist es mir, daß Du mein Knecht bist, um die Stämme Israels aufzurichten und die Hefe Jakobs zu bekehren: ich habe Dich hingestellt als das Licht für die Völker und mein Heil sollst Du sein bis zu den äußersten Grenzen der Erde.“ Licht und Heil aber brachte Christus durch seine Lehre. Also mußte Er auch den Heiden lehren. II. Matth. 7.: „Er lehrte wie einer, der Gewalt hat.“ Größere Gewalt aber offenbart sich in der Belehrung jener, die durchaus nichts gehört hatten, wie dies die Heiden waren, nach Röm. 15.: „So nun habe ich gepredigt dieses Evangelium; nämlich da, wo der Name Christus nicht genannt worden war, damit ich nicht aufbaue auf fremdem Fundamente.“ Vielmehr also hätte der Herr den Heiden predigen sollen. III. Nützlicher ist der Unterricht, den man vielen erteilt, wie jener, der nur einzelnen erteilt wird. Christus aber hat einzelne Nicht-Juden belehrt wie die Samaritanerin (Joh. 4.) und die Kananäerin (Matth. 15.). Also hätte Er um so mehr den Heidenvölkern predigen sollen. Auf der anderen Seite sagt Er selbst (Matth. 15.): „Ich bin gesandt zu den Schafen, welche zu Grunde gegangen sind aus dem Hause Israel.“ Röm. 10. aber heißt es: „Wie sollen sie predigen, wenn sie nicht gesandt werden.“ Also mußte Christus nur den Juden predigen.
b) Ich antworte, zulömmlich sei es gewesen, daß im Beginne Christus selber sowohl wie die Apostel nur den Juden gepredigt haben. Denn 1. sollte dadurch angezeigt werden, wie die den Juden eben gemachten Verheißungen erfüllt worden sind. Deshalb sagt Paulus (Röm. 15.): „Ich spreche, Christus Jesus sei unterworfen gewesen der Beschneidung wegen der Wahrheit Gottes, um zu bekräftigen die Verheißungen der Väter.“ 2. Damit dargethan werde, seine Ankunft sei von Gott. Denn „was von Gott kommt, das ist geordnet“ (Röm. 13.). Dies aber verlangte die gebührende Ordnung, daß die Juden, welche durch den Glauben und den Kult des einigen Gottes Gott näher standen, früher belehrt wurden von Christo wie die Heiden und daß von den Juden die Lehre des Herrn hinübergeleitet würde zu den Heiden; wie ja auch unter den Engelchören die der Ordnung nach höheren, Gott näherstehenden Chöre den niedrigeren die Erleuchtungen von Gott her bringen. Deshalb sagt zu Matth. 15, 24. Hieronymus: „Er sagt nicht, daß Er nur zu den Juden und nicht zu den Heiden geschickt worden sei; sondern Er sei zuerst zu den Juden gesandt worden.“ Und Isai. ult. heißt es: „Ich will senden aus denen,die gerettet worden sind (also aus den Juden), zu den Heiden und sie Werden meine Herrlichkeit verkünden den Heidenvölkern.“ 3. Damit Er keinen Anlaß den Juden gebe, zu verleumden, so daß zu Matth. 10. (in viam gentium) Hieronymus erklärt: „Zuerst mußte die Ankunft des Herrn den Juden verkündet werden, damit dieselben keine rechtmäßige Entschuldigung hätten zu sprechen, sie hätten deshalb den Heiland verworfen, weil Er seine Apostel gesandt habe zu den Heiden und Samaritanern.“ 4. Der Herr hat durch den Sieg des Kreuzes die Herrschaft über alle Völker verdient. Demnach heißt es Apok. 2.: „Der da gesiegt haben wird, dem werde ich geben Gewalt über die Völker … wie ich sie empfangen habe von meinem Vater.“ Und Phil. 2.: „Weil Er gehorsam geworden bis zum Tode am Kreuze, hat Gott Ihn erhöht, daß im Namen Jesu aller Kniee sich beugen und jede Zunge Ihn preise.“ Also vor seinem Leiden wollte Er nicht den Heiden predigen; nach seinem Leiden aber sprach Er: „Gehet hin und lehret alle Völker.“ Deshalb sagte Er, als vor seinem Leiden einige Heiden Ihn sehen wollten (Joh. 12.): „Wenn das Samenkorn, das in die Erde geworfen wird, nicht abstirbt, kann es keine Frucht bringen; ist es aber abgestorben, bringt es reiche Frucht;“ wozu Augustin bemerkt (tract. 51. in Joan.): „Sich selbst nennt Er das Samenkorn, das absterben soll im Unglauben der Juden, vermehrt werden soll im Glauben aller Völker.“
c) I. Durch seine Jünger ward Christus das Licht und Heil aller Völker. II. Darin zeigte sich höher die Macht Christi, daß Er seinen Aposteln so viel Kraft mitteilen konnte, um die Heidenvölker zu Ihm zu bekehren. Die Macht Christi aber im Lehren wird berücksichtigt gemäß den Wundern, die Er wirkte; gemäß der überzeugenden Kraft, mit welcher Er sprach; gemäß der Autorität, die aus Ihm hervorleuchtete, so daß Er sprach: „Ich aber sage euch;“ und endlich gemäß der Sündenlosigkeit seines Wandels. III. Wie Christus im Beginne nicht unterschiedslos den Heiden predigen mußte, damit die den Juden gebührende Ordnung eingehalten würde; so durfte Er auch die Heiden nicht gerade zurückweisen, damit ihnen nicht die Hoffnung des Heiles abgeschnitten werde. Deshalb sind einzelne Heiden im besonderen zugelassen worden auf Grund ihres tiefen Glaubens und ihrer innigen Andacht.
