Zweiter Artikel. Christus ist gestorben aus Gehorsam.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Zum Gehorsame gehört ein Gebot. Wir lesen aber von keinem solchen Gebote, daß Christus leiden sollte. II. Was aus Gehorsam geschieht, das geschieht nicht freiwillig. Christus aber starb freiwillig. III. Die Liebe steht höher als Tugend, wie der Gehorsam. Christus aber hat aus Liebe gelitten, nach Ephes. 5.: „Wandelt in der heiligen Liebe, wie auch Christus uns geliebt und sich für uns dahingegeben hat.“ Auf der anderen Seite steht Phil. 2.: „Christus ward gehorsam bis zum Tode.“
b) Ich antworte, Christus sei aus Gehorsam gestorben: 1. Weil dies so zukam der menschlichen Rechtfertigung; denn „wie durch den Ungehorsam Eines viele als Sünder hingestellt worden sind; so stehen durch den Gehorsam Eines viele als gerechte da“ (Röm. 5.). 2. Weil dies zukam der Versöhnung mit Gott, weshalb Röm. 5. gesagt wird: „Wir sind mit Gott versöhnt worden durch den Tod seines Sohnes,“ insoweit der Tod des Eingeborenen Gott ein überaus angenehmes Opfer war, nach Ephes. 5.: „Er gab Sich selbst für uns dahin, ein angenehmes Opferlamm Gott gegenüber,“ — und insoweit eben der Gehorsam allen Opfern voransteht, nach 1. Kön. 15.: „Besser ist Gehorsam wie Opfergaben;“ also mußte Christi Leiden und Tod vom Gehorsam ausgehen. 3. Weil dies Christo als dem Sieger über den Tod zukam; denn der Soldat kann nicht siegen, es sei denn daß er dem Führer gehorche: „Der gehorsame Mann kann von Siegen sprechen,“ heißt es Prov. 21
c) I. Christus empfing das diesbezügliche Gebot vom Vater, nach Joh. 10.: „Gewalt habe ich, meine Seele einzusetzen und sie wieder an mich zu nehmen; und dieses Gebot empfing ich vom Vater;“ nämlich sie einzusetzen; „das ist nicht so zu verstehen,“ erklärt Chrysostomus (59. in Joan.), „als ob Er erst hätte warten müssen, bis Er es höre und Ihm es nötig gewesen wäre, zu lernen; sondern dies zeigt das freiwillige Vorgehen an und zerstört jeden Verdacht eines Gegensatzes zum Vater.“ Weil aber beim Tode Christi das Alte Gesetz erfüllt ward; deshalb spricht Er sterbend (Joh. 19.): „Es ist vollbracht.“ Das bedeutet, Er habe alle Vorschriften des Gesetzes erfüllt. Die Moralvorschriften nämlich, die im Gebote der heiligen Liebe wurzeln, erfüllte Er, weil Er aus Liebe zum Vater und zum Mitmenschen gelitten hat, nach Joh. 14.: „Damit die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe;“ und Gal. 2.: „Der mich geliebt und Sich für mich dahingegeben hat.“ Die Ceremonialvorschriften erfüllte Er, insoweit alle Opfer des Alten Bundes und was dazu gehörte, Figuren waren dieses wahrhaften Opfers am Kreuze, nach Koloss. 2.: „Niemand urteile über euch in Speise oder Trank oder wegen eines Festtages oder des Neumondes; dies sind Schatten der zukünftigen Dinge, der Leib ist Christi.“ Die rechtlichen Vorschriften, die dazu da waren, Genugthuung zu geben denen, die beleidigt worden waren, erfüllte Er durch sein Leiden, weil Er da „bezahlte, was Er nicht geraubt hatte“ (Ps. 68.), indem Er gestattete, an das Holz des Kreuzes geschlagen zu werden für die Frucht am Holze des Lebensbaumes, welche der erste Mensch zu Unrecht an sich genommen. II. Der Gehorsam schließt Notwendigkeit ein mit Rücksicht auf das, was befohlen wird; schließt aber freien Willen ein mit Rücksicht auf die Erfüllung des Befohlenen. Und so war der Wille Christi. Denn das Leiden und der Tod widerstritten, an sich als Gegenstand betrachtet, dem von Natur aus gegebenen Willen. Christus aber wollte mit Bezug darauf Gottes Willen erfüllen, nach Ps. 39.: „Damit ich Deinen Willen thue, o Gott; ich habe sojgewollt.“ Deshalb sagte Er (Matth. 26.): „Wenn dieser Kelch nicht vorübergehen kann, ohne daß ich ihn trinke, so geschehe Dein Wille.“ III. Christus hat die Gebote der Liebe aus Gehorsam erfüllt; und war gehorsam aus Liebe zum Vater, der da vorschrieb.
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