Sechster Artikel. Die Sünde der Kreuziger Christi war die schwerste.
a) Dies wird geleugnet. Denn: I. Diese Sünde kann entschuldigt werden gemäß den Worten des Herrn. II. Zu Pilatus sagt der Herr (Joh. 19.): „Der mich Dir überliefert hat, dessen Sünde ist schwerer.“ Pilatus aber ließ Jesum kreuzigen durch seine Knechte. Also war die Sünde des Judas schwerer. III. Nach 5 Ethic. 9. „leidet nicht Unrecht, der dies leiden will.“ Dem also, der so leiden will, thut niemand nach dieser Seite hin unrecht. Christus aber wollte aus freien Stücken leiden. Also thaten die Kreuziger kein Unrecht. Auf der anderen Seite sagt zu Matth. A3. (vos implete mensuram) Chrysostomus (45. in op. imp.): „Soweit es auf den Gegenstand ankommt, überschritten sie das Maß ihrer Väter; denn diese töteten Menschen, sie aber kreuzigten Gott.“
b) Ich antworte; die Sünde der Judenfürsten, die da entweder an gewollter Unkenntnis litten oder ausdrücklich wußten, was sie thaten, war die überaus schwerste; denn sie hatte zur Grundlage die reine Bosheit des Willens. Die gewöhnlichen Leute aus dem Volke aber begingen die schwerste Sünde, soweit es auf die „Art“, den objektiven Gegenstand der Sünde, ankommt; ihre Sünde jedoch wurde verringert durch die Unwissenheit. Deshalb sagt Beda (I. c.): „Er betet für jene, die da thaten als ob sie den Eifer für die Ehre Gottes hätten; aber nicht gemäß der Wissenschaft. Mehr entschuldbar war die Sünde der Heiden, durch deren Hand Er gekreuzigt ward;“ denn sie kannten das Gesetz nicht.
c) I. Jene Entschuldigung bezieht sich nicht auf die Judenfürsten. II. Judas übergab den Heiland den Judenfürsten, und diese übergaben Ihn dem Pilatus, nach Joh. 18, 35. Die Sünde dieser aller aber war größer wie die des Pilatus, welcher aus Furcht vor dem Kaiser tötete; und größer wie die der Soldaten, die auf das Gebot des Pilatus hin den Herrn kreuzigten; — nicht nämlich aus Geldgier wie Judas, und nicht aus Neid und Haß wie die Judenfürsten. III. Christus wollte sein Leiden, wie auch Gott dies wollte; aber die Bosheit der Juden wollten sie nicht. Und so werden die Kreuziger des Herrn nicht entschuldigt. Zudem thut, wer tötet, nicht allein unrecht dem getöteten; sondern auch Gott und dem Gemeinwesen. Deshalb hat auch David jenen zum Tode verurteilt, der den Saul, den Gesalbten des Herrn, zu töten sich nicht gescheut hat; obgleich Saul darum bat (2. Kön. 1.)
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