Fünfter Artikel. Die Verfolger Christi wußten nicht, daß es Christus war.
a) Das wußten sie wohl. Denn: I. Matth. 21. heißt es: „Hier ist der Erbe, töten wir Ihn,“ wozu Hieronymus bemerkt: „Offenbar beweist mit diesem Gleichnisse der Herr, daß die Fürsten der Juden Ihn nicht aus Unkenntnis sondern aus Neid getötet haben; denn sie wußten. Er sei jener, zu dem der Vater im Propheten sagt (Ps. 2.): „Fordere von mir und ich will dir die Heidenvölker als Erbe geben.“ II. Joh. 15. sagt der Herr: „Nun aber haben sie mich gesehen und sie haben mich gehaßt und meinen Vater.“ Was aber gesehen wird, das wird offenbar gekannt. III. In einer Rede auf dem Konzil zu Ephesus heißt es: „Wie jemand, der einen kaiserlichen Brief zerreißt, als Majestätsverbrecher zum Tode verurteilt wird, so wird der Jude, der gekreuzigt hat den, welchen er sah, bestraft werden als ob er das göttliche Wort, Gott selber, geschmäht hätte.“ Hätten die Juden es aber aus Unwissenheit gethan, so würde dies sie entschuldigen. Auf der anderen Seite heißt es 1. Kor. 2.: „Wenn sie erkannt hätten, würden sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt haben;“ und Act. 3. sagt Petrus: „Ich weiß, ihr habt es aus Unwissenheit gethan wie auch euere Fürsten;“ und der Herr betet (Luk. 19.): „Vater; verzeihe ihnen; denn sie wissen nicht was sie thun.“
b) Ich antworte; unter den Juden waren die einen die Vorsteher und die anderen die gewöhnlichen Leute. Die Vorsteher, „die auch Fürsten genannt werden, kannten nun, wie auch die Dämonen, daß der Herr der im Gesetze verheißene Christus sei; denn sie sahen in Ihm alle jene Anzeichen, welche von den Propheten vorausgesagt worden waren; sie erkannten aber nicht das Geheimnis der Gottheit in Ihm“ (Aug. q. 66. V. et N. T.).Deshalb sagt der Apostel bezeichnend, „sie hätten den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.“ Eine solche Unkenntnis aber entschuldigte nicht; denn es war eine gewollte, affektierte Unkenntnis. Sie sahen nämlich die Wunder vor sich, welche offenbar darthaten, daß Christus Gott sei; und aus Haß und Neid verkehrten sie diese Wunder und legten denselben offenbar Falsches unter, wie daß sie mit Hilfe des Beelzebub gemacht seien; — ebenso wie sie seinen Worten nicht glauben wollten, mit denen Er bekannte, daß Er Gott sei. Deshalb sagt der Herr selber von ihnen (Joh. 15.): „Wenn ich nicht gekommen wäre und mit ihnen gesprochen hätte, so würden sie keine Sünde haben; jetzt aber haben sie keine Entschuldigung von ihrer Sünde … Wenn ich Werke nicht vor ihnen gethan hätte, wie kein anderer, so hätten sie keine Sünde.“ In ihrer Person also kann das Wort Jobs verstanden werden (21, 14.): „Sie sagten zu Gott: Entferne Dich von uns, die Wissenschaft Deiner Wege wollen wir nicht.“ Von den gewöhnlichen Leuten, dem Volke, aber mögen einzelne geglaubt haben; die große Masse aber erkannte weder, daß Er der verheißene Messias noch daß Er Gott sei. Und wenn ob der Größe der Wunder ihnen manchmal Bedenken aufstiegen, so wußten die Fürsten dieselben zu zerstreuen. Deshalb sagt Petrus: „Ihr habt es aus Unwissenheit gethan und euere Fürsten,“ d. i. getäuscht durch euere Fürsten.
c) I. Jene Worte sagen im Gleichnisse die Pächter des Weinberges; also die Fürsten der Juden, insoweit sie wußten, Christus sei der verheißene Messias. Doch dagegen scheint dies zu sprechen: Wenn sie wußten, Christus sei der in jenen Worten des Psalms bezeichnete, so mußten sie auch wissen, daß Er Gottes Sohn, also Gott sei; denn es folgt: „Mein Sohn bist Du, heute habe ich Dich gezeugt.“ Darauf erwidert Chrysosomus (hom. 40. in op. imp.), „sie hätten gewußt, es sei der Sohn Gottes.“ Und dem stimmt Beda zu (94. in Luc;.): „Hier ist zu bemerken, daß Er nicht für jene betet, die da, obgleich sie wußten, es sei der Sohn Gottes, Ihn lieber kreuzigen als anerkennen wollten.“ Jedoch kann man erwidern, sie hätten wohl gewußt, Christus sei der Sohn Gottes, aber nicht Sohn von Natur, sondern Sohn durch einzig dastehende Gnade. Und schließlich kann auch dies zugegeben werden, sie hätten wohl erkannt, es sei der wahre Sohn Gottes, weil sie die augenscheinlichsten Zeichen davon vor sich hatten; aber Haß und Neid hätten sie gehindert, dies sich selber einzugestehen. II. Aus jener ganzen Stelle geht hervor, daß der Haß es ihnen nicht gestattete, sich einzugestehen, es sei der Sohn Gottes; obgleich die Werke Christi und seine Worte es ihnen offen vorlegten. III. Die gewollte Unwissenheit entschuldigt nicht, sondern erschwert die Schuld. Denn sie zeigt, der Mensch sei in der Weise voreingenommen daß Er will unwissend sein, damit er sündigen könne. Und also sündigten die Juden, nicht nur weil sie einen unschuldigen Menschen, sondern weil sie Gott kreuzigten.
