Zweiter Artikel. Christus that für uns genug und verursachte so unser Heil.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Der nämliche muß genugthun, der da sündigt; wie der nämliche bereuen und bekennen muß seine Sünde. Christus aber „beging keine Sünde“ (1. Petr. 2.). II. Keinem wird genuggethan dadurch daß man ihn schwerer beleidigt. Die Sünde der Kreuziger Christi aber war die schwerste. Also durch das Leiden des Herrn konnte Gott nicht genuggethan werden. III. Die Genugthuung als Akt der Gerechtigkeit bedingt ein gewisses Gleichsein der Sünde und der Strafe, so daß Beides sich deckt. Das Leiden Christi aber kommt in dieser Weise nicht gleich allen Sünden der Menschen. Denn nach der Gottheit hat der Herr nicht gelitten (1. Petr. 4.), sondern nur dem Fleische nach; die Seele aber, wo die Sünde ihren Sitz hat, überwiegt das Fleisch. Also hat Christus nicht genuggethan für unser aller Sünden. Auf der anderen Seite steht Ps. 68, 5.: „Was ich nicht geraubt hatte, das habe ich bezahlt.“ Nicht aber bezahlt, wer nicht vollkommen genugthut. Also hat Christus durch sein Leiden vollkommen für uns genuggethan.
b) Ich antworte, jener thue genug für eine Beleidigung, der dem beleidigten etwas darbietet, was dieser ebenso oder in höherem Grade liebt als er haßt die Beleidigung. Christus aber hat dadurch daß Er aus Liebe und Gehorsam litt etwas Größeres Gott dargeboten als die Vergeltung für die Beleidigung des gesamten Menschengeschlechts verlangte: 1. Auf Grund der Größe der Liebe, kraft deren Er litt; 2. auf Grund des Wertes seines Lebens, das Er einsetzte als Genugthuung und welches das Leben eines Gottes zugleich und eines Menschen war; 3. auf Grund der allumfassenden Größe des Schmerzes (Kap. 46, Art. 6.). Und sonach war das Leiden Christi nicht nur eine die gleiche Geltung beanspruchende, sondern eine überfließende Genugthuung, nach 1. Joh. 2.: „Er ist die Sühne für unsere Sünden; nicht aber bloß für unsere, sondern für die der ganzen Welt.“
c) I. Das Haupt und die Glieder sind gleichsam eine einzige mystische, d. h. in der Liebe geeinigte, Person, und so gehört die Genugthuung Christi allen gläubigen Christi an. Auch von zwei Menschen, die in Liebe eins sind, kann der eine für den anderen genugthun. Das gilt aber nicht vom Bereuen und Bekennen. Denn die Genugthuung ist eine äußere Thätigkeit, zu welcher Werkzeuge genommen werden können; und unter diese rechnet man die Freunde. II. Größer war die heilige Liebe Christi wie die Bosheit der Kreuziger; und somit konnte Christus mehr genugthun, wie diese beleidigen dadurch daß sie kreuzigten. Die Genugthuung Christi war genügend und übergenügend auch für die Sünden derer, die Ihn töteten. III. Die Würde des Fleisches in Christo ist in Christo nicht allein an sich zu schätzen; sondern sie hängt ab vom Werte der Person, mit der dieses Fleisch vereinigt worden. Es war das Fleisch Gottes und sein Wert deshalb ohne Grenzen.
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