Erster Artikel. Das Übel ist keine Natur.
a) Das scheint nicht richtig zu sein. Die Gründe sind: I. Jede Seinsart ist eine Natur, das Übel aber ist eine Seinsart. Denn (cap. 10. de Oppos.) Aristoteles sagt in den Prädikamenten, das Gute und Böse seien in keiner der anderen Seinsarten, sondern vielmehr seien sie Seinsarten für alles Andere. II. Das Übel begründet einen Unterschied in der Gattung. Denn der böse Akt unterscheidet sich vom Guten der moralischen Gattung nach; wie die Freigebigkeit vom Geize. Also ist das Übel etwas. III. Gutes und Böses stehen nicht im Gegensatze zu einander wie einZustand zum Mangel an ihm; wie Sehen zum Blindsein. Vielmehr ist ihr Gegensatz ein positiver von beiden Seiten her, also ein konträrer. Dennzwischen Gut und Böse besteht ein Mittelding, was nicht gut und nicht böse ist; und ebenso geht vom Bösen nicht selten der Übergang oder die Rückkehr zum Guten aus. IV. Was nicht ist, wirkt nicht. Das Übel aber wirkt; denn es verdirbt das Gute. Somit ist es auch und hat eine bestimmte Natur. V. Augustin sagt (Enchir. 10. et 11.): „Aus allem wächst zusammen die wundersame Schönheit des All; worin auch das, was Übel genanntwird, sofern es an seinem Platze ist und dem Zwecke untergeordnet erscheint, mit Kraft das Gute hervortreten läßt.“ Was aber zur Schönheit und Vollendung des All beiträgt, das ist etwas und hat eine Natur. Also das Übel ist etwas. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (4. de div. nom.): „Das Böse hat kein Sein und keine Güte.“
b) Ich antworte, daß gut ist, was den Charakter des Erstrebbaren oder Wünschenswerten hat. Jede Natur aber strebt und verlangt notwendig nur danach, zu sein und vollendet zu sein. Also alles Sein und alle Vollendung einer jeden Natur trägt den Charakter des Guten; und somit kann das Übel nicht ein Sein bezeichnen oder ein Wesen oder eine Natur. Es erübrigt nur, daß unter dem „Übel“ ein Mangel und eine Abwesenheit des Guten verstanden wird. Das Übel wird also ein Nichtsein genannt und ein Nicht-Gut. Denn was ist, das ist infoweit gut; sonach bedeutet das Übel die Entfernung beider: des Sein und des Guten.
c) I. Aristoteles spricht an dieser Stelle nach der Art und Weise der Pythagoräer, welche das Übel als eine Natur bezeichneten; wie er dies häufig in den mit der Logik sich befassenden Büchern thut, damit er dabei bleibe, was nach der Meinung einiger Philosophen seiner Zeit für wahrscheinlich galt und somit seine Regeln der Logik, welche er an folchen Beispielen zeigt, überall Eingang und Verständnis fänden. Aber es kann auch gesagt werden, daß die erste Art Gegensatz eben die ist zwischen einem Zustande und dem Mangel desselben; ein Gegensatz, welcher sich mehr oder minder in allen anderen Arten von Gegensätzen findet. Denn immer ist der eine Teil eines Gegensatzes unvollkommen, also in etwa ein Mangel, mit Rücksicht auf den anderen Teil; wie das Schwarze rücksichtlich des Weißen, das Bittere rücksichtlich des Süßen, was im übrigen einen positiven, konträren Gegensatz zu einander bildet. Und so werden das Gute und Böse „Arten“ genannt, in welchen jeder andere Gegensatz wie in der allgemeinen Gattung eingeschlossen ist; denn sowie jede Form und jeder Zustand den Charakter des Guten trägt, so auch jeder betreffende Mangel daran den des Übels. II. „Gut und Böse“ bilden zwei Gattungen nur im Bereiche des Moralischen oder der Sittenordnung, wo die Gattung ihr bestimmendes Moment vom Zwecke erhält, dem Gegenstande des Willens. Und da das Gute zugleich die Natur des Zweckes besitzt; so bildet das Gute an sich eine Gattung im Moralischen, das Böse aber nur, insoweit es vom entsprechenden Zwecke entfernt. Diese Entfernung vom Zwecke aber bildet nur dann eine Gattung im moralischen Sein, wenn sie verbunden ist mit einem ungebührlichen Zwecke. So ist also das Übel das bildende Element in einer moralischen Gattung als Gut, welches verbunden ist mit dem Mangel eines anderen Gutes; wie z. B. der Zweck des Unmäßigen nicht der Mangel am Gute der Vernunft ist, sondern das Ergötzliche der Sinne verbunden mit der Abwesenheit der vernünftigen Ordnung. Also kraft des Guten, dessen das Übel nicht beraubt, ist es das bildende Element in einer Gattung. III. In diesem Sinne spricht auch Aristoteles in der vom dritten Einwürfe angeführten Stelle; insofern nämlich vom Bereiche des Moralischen gehandelt wird. Denn so giebt es ebenfalls ein Mittelding zwischen Gutem und Bösem; — insoweit gut genannt wird, was der Ordnung der Vernunft unterliegt; böse aber nicht nur, was ungeordnet ist, sondern was auch dem anderen schadet. So sagt Aristoteles (4 Ethic. 1.): „Der Verschwender ist wohl eitel, aber nicht böse.“ Von diesem moralischen Übel giebt esauch eine Umkehr zum Guten; nicht aber von jedem Übel, wie z. B. von der vollständigen Blindheit es keine Rückkehr giebt zum Sehen, obgleich auch die Blindheit ein Übel ist. IV. „Wirken“ wird von etwas in dreifacher Weise ausgesagt. Erstens der Form nach; wie z. B. von der „Weiße“ gesagt wird, durch sie werde etwas weiß, oder sie mache weiß. Und so wird vom Übel als solchem ausgesagt, es verderbe das Gute; denn seine Gegenwart ist eben die Entfernung des Guten. Ferner wirkt etwas als wirkender Grund, wie der Maler die Wand weiß macht. Und endlich wirkt etwas als Zweck dadurch, daß es der wirkenden Ursache den Anstoß giebt. In diesen beiden letzten Auffassungen wirkt das Übel als solches nicht. Wohl aber kann es derartig wirken wegen des mit ihm verbundenen Guten, wie das Getränk den Unmäßigen anzieht und der Mächtige die Guten verfolgt. Deshalb sagt Dionysius (4. de div. nom.): „Das Böse wirkt nicht und wird nicht erstrebt außer wegen des damit verbundenen Guten; an sich ist es zwecklos, außerhalb des Willens und der Absicht.“ V. Die Teile des All haben Beziehung zu einander, insoweit der eine auf den anderen einwirkt und der eine der Zweck oder zweckdienlich oder das Exemplar für das andere ist. Das kommt also alles dem Übel nur zu wegen des mit ihm verbundenen Guten und so trägt das Übel nicht als solches zur Vollendung des All bei.
