Zweiter Artikel. In den Dingen findet sich das Übel.
a.) Dagegen spricht: I. Was in den Dingen sich findet, das ist entweder ein Sein; oder Mangelan Sein, also Nichtsein. Dionysius aber sagt (4. äo äiv. uoiu.): „DasÜbel ist fern vom Sein und noch ferner vom Nichtfein.“ Also ist in denDingen gar kein Übel. II. „Ding“ und „Sein“ bedeutet dasselbe. Ist also das Übel in den Dingen, so ist es auch ein Ding selber, also eine Natur. III. „Weißer ist, was weniger mit Schwarzem vermengt ist,“ sagtAristoteles (3 topic. c. 4.). Besser also ist, was weniger mit Übel vermengt erscheint. Gott aber macht immer das, was besser ist; weit mehr noch wie dies die Natur thut. Also ist in den von Gott geschaffenen Dingen kein Übel. Auf der anderen Seite müßten dann alle Verbote und Strafen entfernt werden, die ja nur Anspruch auf Sein haben, sofern ein Übel existiert.
b) Ich antworte, die Vollendung des All erfordere es, daß in den Dingen Ungleichheit herrsche, damit alle Grade der Güte ausgedrückt würden. Nun besteht ein Grad der Güte darin, daß etwas nie schwächer werden oder das Gute verlieren kann. Ein anderer Grad besteht darin, daß etwas, was gut ist, das Gute auch verlieren oder darin schwächer werden kann. Diese Grade finden sich auch im Sein. Es sind einige Wesen, die unvergänglichen, die von sich aus ihr Sein nicht verlieren können; und es giebt andere, die vergänglichen, welche es verlieren können. Sowie also die Vollendung des All es verlangt, daß nicht nur unvergängliche Wesen seien, sondern auch vergängliche, die da entstehen und vergehen; so verlangt auch die Vollendung des All, daß einige Wesen es giebt, welche das Gute verlieren oder darin schwächer werden können; und daraus folgt, daß dies auch wirklich manchmal geschieht. Darin aber besteht die Natur des Bösen, daß etwas des Guten ermangelt oder von selbem abfällt. Also findet sich in den Dingen das Übel; sowie sich auch rücksichtlich des Seins das Vergehen darin findet, denn dieses Vergehen selber ist ein Übel.
c) I. Das Übel ist fern davon, einfach zu sein; und fern davon, einfach nicht zu sein. Denn es ist kein Sein wie ein Zustand dies ist und es ist keine reine Verneinung; es ist Mangel an Gutem. II. „Sein“ wird in zweifacher Weise ausgesagt: Einmal so, daß es das wirkliche Sein des Dinges bezeichnet und so ist es dasselbe wie „Ding“. Ein solches Sein ist das Übel nicht. Dann so, daß es die Verbindung des Prädikats mit dem Subjekte besagt; und so dient es als Antwort auf die Frage, ob etwas ist. Danach wird das Sein auch vom Übel ausgesagt; wie wenn ich sage, die Blindheit ist im Auge. Und so ist das Übel nie ein Ding und wird doch von ihm das „Sein“ ausgesagt. III. Gott und die Natur machen das Beste, soweit es auf das Ganze ankommt und nicht bloß auf einen einzelnen Teil. Das Ganze des All aber ist vollendeter und besser, wenn darin manche Dinge sind, welche das Gute verlieren können und es thatsächlich bisweilen verlieren; — einerseits, „weil der Vorsehung es zugehört, die Natur zu retten, nicht sie zu zerstören,“ wie Dionysius sagt (4. de div. nom.); es aber in der Natur der Dinge liegt, daß einige Dinge manchmal schwächer an Güte werden; andererseits, weil, wie Augustin sagt, „Gott so mächtig ist, daß Er zum Guten auch das Übel wenden kann.“ Deshalb würde vieles Gute nicht sein, wenn Gott nicht manches Übel erlaubte. Das Feuer z. B. würde nicht erzeugt werden, wenn die Luft nicht verdorben würde; und das Leben des Löwen würde nicht erhalten bleiben, wenn nicht ein Esel geschlachtet würde. Die Gerechtigkeit des Rächers und die Geduld des Verfolgten würde nicht erscheinen, wenn nicht die Bosheit des Verfolgers wäre.
