Zweiter Artikel. Die Thätigkeit des Engels ist nicht sein Sein.
a) Dagegen spricht: I. Erkennen ist gewissermaßen „leben“. „Leben aber ist für die lebendigen Dinge Sein,“ wie Aristoteles (2. äe anima) sagt. Also. II. Wie sich die Ursache zur Ursache verhält, so die Wirkung zurWirkung. Die Erkenntnisform aber, vermittelst deren der Engel wenigstenssich selbst erkennt, ist dieselbe wie die, vermittelst deren er ist. Also ist imEngel Thätigsem dasselbe wie Da-Sein. Auf der anderen Seite ist das Erkennen die Bewegung des Engels, wie Dionysius sagt (4. äs äiv. uom.). Sein aber ist keine Bewegung. Also ist im Engel Sein nicht Erkennen.
b) Ich antworte; keine Thätigkeit des Engels ist sein Sein; ebensowenig wie dies das Thätigsein irgend einer anderen Kreatur ist. Es giebt zuvörderst ein Thätigsein, das im äußeren Gegenstande seinen Abschluß findet, wie sägen, brennen. Diese Art Thätigkeit kann unmöglich mit dem Sein des Thätigen zusammenfallen. Denn das Sein eines jeden Dinges ist und bleibt im Dinge; es macht nicht, daß etwas Außenstehendes ist. Dann giebt es ein Thätigsein, welches im Thätigen verbleibt, wie Empfinden, Erkennen, Wollen. Durch solche Thätigkeit wird nichts Außenstehendes verändert; sondern ganz vollzieht sie sich im Thätigseienden. Ein solches Thätigsein aber schließt seiner Natur nach entweder ganz und gar oder nach einer Seite hin Unendlichkeit, d. h. das „ohne Ende“ ein. Das Erkennen nämlich erstreckt sich ohne Grenzen auf alles Wahre; das Wollen ebenso auf alles Gute; das Sehen ebenso nach der Seite des Sichtbaren oder der Farben hin auf alles Sichtbare oder Farbige ohne Ende. Das Sein jedoch jeder Kreatur ist immer endlich, begrenzt. Gottes Sein allein ist unbegrenzt, alles in sich einschließend, (Dion. 4. de nom. div.) Also Gottes Sein allein ist Gottes Wollen und Erkennen.
c) I. Leben wird manchmal genommen für das lebende Sein selber; manchmal aber für die Wirksamkeit des Lebendigen, d. h. für das, wodurch etwas als lebendig ausgedrückt wird. Und in dieser letzten Weise meint Aristoteles, „erkennen“ sei gewissermaßen „leben“; denn er unterscheidet an dieser Stelle die verschiedenen Stufen in den lebendigen Dingen gemäß deren Thätigkeit. II. Das Wesen des Engels ist wohl der volle Grund seines Seins, nicht aber der volle Grund seines Erkennens; denn er kann nicht alles erkennen vermittelst seines Wesens. Und deshalb wird das Wesen seiner eigensten Natur nach, insoweit es ein solches Wesen und kein anderes ist, zum Sein des Engels in Beziehung gebracht. Aber zum Erkennen steht das Wesen des Engels in Beziehung wie ein allgemeinerer Erkenntnisgegenstand; nämlich wie eine Wahrheit oder ein Sein. Also ist das Wesen des Engels nicht unter demselben Gesichtspunkte Form für das Erkennen, und Princip für das Sein. Also fällt im Engel Sein und Erkennen nicht zusammen.
