Dritter Artikel. Die Erkenntniskraft oder die Vernunft des Engels ist nicht sein Wesen.
a) Das Gegenteil scheint wahr zu sein. Denn: I. Erkennender Geist und Vernunft scheinen das gleiche Vermögen auszudrücken. Dionysius aber (2. 6. 12. cael. hier.; 7. 9. de div. nom.) nennt öfter die Engel selber „erkennende Geister“ und „Vernunftkräfte“. Also ist die Substanz im Engel seine Vernunftkraft. II. Ist die Erkenntniskraft im Engel nicht Substanz, so ist sie von außen hinzutretende Eigenschaft oder Accidens. „Ein einfaches Wesen aber kann nicht Träger oder Subjekt von außen hinzutretender Eigenschaften, — von Accidentien, sein,“ wie Boëtius (lib. de Trin.) sagt. III. Augustin sagt (12. confess.): „Gott hat die engelhafte Naturgemacht, als eine in seiner Nähe stehende und den Urstoff als eine dem Nichts nahestehende Natur.“ Also ist der Engel einfacher und Gott näherstehender wie der Urstoff. Dieser aber ist sein Vermögen; denn er ist von Natur aus nur Vermögen für das Sein. Also ist die Erkenntniskraft des Engels seine Substanz. Auf der anderen Seite sagt Dionyfius (2. 66 tiisr. oaei.): „In den Engeln unterscheiden sich Substanz, Kraft und Thätigkeit.“
b) Ich antworte, daß weder im Engel noch in einer anderen Kreatur die Kraft zu wirken zusammenfällt mit der Substanz. Denn da jede Kraft oder jedes Vermögen in Beziehung zum Akte ausgesagt wird, so ist die Verschiedenheit der Vermögen zu berücksichtigen gemäß der Verschiedenheit der Akte oder Thätigleiten; deshalb sagt man, daß einer eigens gestalteten Thätigkeit ein eigen gestaltetes Vermögen entspricht. In jedem Geschaffenen aber waltet dem wirklichen Sein nach ein Unterschied ob zwischen dem Wesen und dem wirklichen Dasein und ersteres steht zum letzteren in Beziehung wie ein Vermögen zum thatsächlichen Sein. (Kap. 3, Art. 4.) Das thatsächliche Sein aber, welches einem wirksamen Vermögen entspricht, ist eben Thätigkeit. Da nun im Engel nicht dasselbe ist: thatsächlich erkennen und thatsächlich sein, so entspricht auch nicht beiden das gleiche Vermögen. Der Thätigkeit des Erkennens entspricht das Erkenntnisvermögen oder die Erkenntniskraft. Dem thatsächlichen Sein entspricht das Wesen. Also Wesen und Erkenntniskraft (ebenso gilt dies von der Willens- und von jeder anderen Kraft oder Fähigkeit) ist im Engel nicht dasselbe und noch weniger in den anderen Kreaturen.
c) I. Der Engel wird „erkennender Geist“ oder „Vernunftkraft“ genannt, weil seine Erkenntnis ganz und gar eine vernünftige ist; während die unsrige teils der sinnlichen, teils der vernünftigen Wahrnehmung entspricht. II. Jene ganz und gar einfache Form, welche Gott ist, kann nicht Träger irgend welcher zum Wesen hinzutretender Eigenschaft sein, weil ein solcher Träger oder ein solches „Subjekt“ sich zu dieser Eigenschaft verhält, wie etwas, was noch weiteres werden kann oder was nur vermag, etwas zu thun, mit einem Worte, wie ein Vermögen also zum thatsächlichen, bethätigenden Sein. Und von einer derartigen ganz und gar einfachen Form, die nichts Weiteres werden kann, spricht Boëtius. Was aber Vermögen in sich einschließt, das kann ganz gut ein solches „Subjekt“ sein. Denn sein Vermögen wird bethätigt durch die hinzutretende Eigenschaft oder Kraft, freilich nur, wenn dieselbe der Natur der Gattungsform entspricht. Eine Eigenschaft aber, welche nur einem Eilnzeldinge ihrer Natur nach folgt und nicht einer ganzen Gattung als solcher, entspricht dem Stoffe, der Princip für das Einzelsein ist. Also kann eine einfache Wesensform wie der Engel die erste Art Accidentien tragen. III. Das Vermögen des Stoffes ist gerichtet auf das substantielle Wesenssein selber, also darauf, überhaupt etwas zu sein. Die Kraft zu wirken aber setzt schon das Wesenssein voraus und geht nur auf die Thätigkeit. Deshalb ist der Vergleich mangelhaft.
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