Erster Artikel. Der Engel erkennt sich selbst.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Dionysius (6. de cael. hier.) sagt, daß die Engel ihre eigenen Kräfte nicht kennen. Also kennen sie auch nicht ihre Substanz II. Der Engel ist eine einzelne besondere Substanz, sonst könnte er nicht wirken. Nichts Einzelnes und Besonderes aber ist an und für sich seitens der Vernunft erkennbar. III. Die Vernunft wird bewegt und bethätigt durch den erkennbaren Gegenstand. Nichts aber wird von sich selber bewegt und bethätigt; wie dies aus dem Körperlichen hervorgeht. Auf der anderen Seite sagt Augustin (2. Sup. Gen. ad litt. cap. 8.): „Der Engel erkennt sich selber eben dadurch, daß er in sich selbst gefestigt, d. h. in der Wahrheit erleuchtet wird.“
b) Ich antworte, daß in der Thätigkeit, welche nach außen geht, wie sägen, wärmen, der Gegenstand derselben getrennt ist vom Thätigseienden; in jener aber, die nach innen geht, der Gegenstand geeint ist mit dem Thätigseienden; wie z. B. das Lichtbild im Auge ist. Und zwar verhält sich dieser letztere Gegenstand in der wirkenden Potenz selber wie deren Princip oder wie deren innerlich bildende Form der Thätigkeit. Gleichwie nämlich die Wärme im Feuer das Princip der Erwärmung ist, so ist das Lichtbild im Auge Princip und Form für das Sehen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß eine derartige Form des Gegenstandes bisweilen nur dem Vermögen nach in der Erkenntniskraft sich findet, so daß durch sie nur erkannt werden kann. Dann wird erfordert, daß die Erkenntniskraft zuvörderst in Thätigkeit gesetzt werde. Ist aber eine solche Erkenntnisform als eine thatsächlich formende und nicht bloß dem Vermögen nach in der Erlenntniskraft, so kann diese augenblicklich durch sie erkennen ohne irgend welche Veränderung oder vorhergehende Inthätigkeitsetzung. Bestimmt oder bewegt werden vom Gegenstande her gehört also nicht zur Natur des Erkennenden als solcher, sondern nur insofern er nichts als ein Vermögen hat für das Erkennen; nur vermögend ist zu erkennen und nicht immer thatsächlich erkennt. Daß aber eine solche Form Princip der Thätigkeit sei, das hat damit nichts zu thun, ob dieselbe dem Erkennenden nur innewohnt oder ob sie für sich besteht. Die Wärme z. B. würde nicht minder warm machen, wenn sie für sich bestehendes Sein hätte, als wenn sie einem Gegenstande nur innewohnt. Besteht also eine für sich seiende Erkenntnisform als substantieller Träger und zugleich als Princip des Erkennens, so ist damit gesagt, daß eine solche Form sich selbst erkennt. Der Engel aber, da er nicht im Stoffe für sich besteht, ist eine für sich seiende oder substantielle Form und somit thatsächlich von vornherein erkennend. Also versteht er durch seine Form, d. h. durch seine Substanz sich selbst.
c) I. Jene Stelle in Dionysius ist falsch übersetzt in der alten Übersetzung und wird verbessert durch die neue: „sie kennen zudem ihre eigenen Kräfte.“ Jedoch könnte die alte Übersetzung dahin erklärt werden, daß der Engel nicht vollkommen seine Kraft kennt, soweit sie nämlich unter dem Einwirken der göttlichen Weisheit, die der Engel nicht begreift, reichen kann. II. Nicht weil die stofflichen Dinge einzeln sind, sind sie als einzelne der Vernunft unzugänglich; sondern weil der Stoff in ihnen das Princip des Einzelseins ist. III. Bestimmt- oder Bewegtwerden kommt der Vernunft nur zu, insoweit sie im Zustande des Vermögens ist; was beim Engel nicht statthat,der thatsächlich immer erkennend ist.
