Zweiter Artikel. Ein Engel kennt den anderen.
a) Dagegen läßt sich folgendes geltend machen: I. Aristoteles sagt (III. de anima): „Wenn die Vernunft eine stoffliche Natur hätte wie die sichtbaren Dinge, so würde dieselbe das dieser Natur fremde oder entgegengesetzte Stoffliche nicht erkennen können; gleichwie wenn die Pupille von Natur aus eine bestimmte Farbe trüge, sie nicht jede Farbe sehen könnte.“ Wie sich aber die menschliche Vernunft verhält zu den körperlichen Dingen, so die Einzelvernunft zur Erkenntnis der stofflosen Wesen. Da also jeder Engel eine bestimmte Vernunftnatur, d. h. eine Vernunft, gemäß einem bestimmten Erkenntnisgrade von Natur hat, so kann er andere Engel nicht erkennen. II. Der liber decausis sagt: „Jede Vernunftkraft weiß, was über ihr ist, weil sie von da her verursacht worden; und sie weiß, was unter ihr ist, soweit sie es verursacht.“ Ein Engel ist aber nicht die Ursache des anderen. III. Ein Engel erkennt 1. nicht den anderen vermittelst seines eigenen, des erkennenden Wesens. Denn das eine Wesen ist nicht bei den Engeln dem anderen ähnlich (da jeder seine Gattungsform ist) außer in der allgemeinen Art der geistigen Substanz. Also würde der Engel in solcher Weise nur im allgemeinen den anderen Engel kennen und nicht nach dessen eigenem Sein. 2. Erkennt ein Engel nicht den anderen vermittelst des anderen, des erkannten Wesens. Denn wodurch die Vernunft erkennt, das ist innerhalb der Vernunft; das Wesen des anderen Engels ist aber nicht im Wesen des ersten, sonst wären die zwei Engel nur einer. Nur die Dreieinigkeit ist als wirkend, also als in drei Personen für sich bestehend, innerhalb der Vernunft des Geschöpfes. 3. Kann auch eine eigene Erkenntnisform oder Idee nicht eine solche Kenntnis vermitteln; denn eine solche ist nicht unterschieden von dem erkannten Engel, da sowohl der Engel in seiner Substanz wie auch die Erkenntnisform stofflos ist. Also ist eine solche Kenntnis gar nicht möglich. IV. Wenn ein Engel den anderen kennt, ist dies entweder durch eine von Natur eingeborene Idee oder durch eine von den Dingen, d. h. von außen her empfangene. Ist das erstere der Fall, so würde ein Engel, den Gott jetzt von neuem schaffen wollte, nicht erkannt werden können von den anderen. Im letzteren Falle würden die höheren Engel nicht erkennen die niedrigeren, da sie von diesen nichts empfangen. Auf der anderen Seite sagt der liber de causis: „Jede selbstständige für sich bestehende Vernunftkraft erkennt die stofflosen Wesen.“
b) Ich antworte, daß, wie Augustin sagt (II. sup. Gen. ad litt.), die Dinge, welche im Worte Gottes von Ewigkeit her existierten, in doppelter Weise da hervorgegangen sind: 1. in die Vernunft der Engel; 2. in ihrem eigenen Sein. Und zwar gingen sie dadurch in die Vernunft der Engel aus, daß Gott dieser letzteren die Ähnlichkeit, die Idee der Dinge, einprägte, welche Er schuf. Im Worte Gottes aber waren nicht nur die Seinsgründe für die körperlichen Dinge, sondern auch die für die geistigen. So also sind den einzelnen Engeln auch eingeprägt worden die Ähnlichkeiten oder Ideen von den anderen Engeln. Und zwar ist der Seinsgrund für sein eigenes Sein einem jeden so eingeprägt worden, daß er in ihm von Natur aus für sich bestehe und durch selben sich selbst verstehe; die Seinsgründe für alle anderen Dinge nur als reine Ideen oder Erkenntnisformen.
c) I. Die Naturen der einzelnen Engel sind voneinander nicht durch den Stoff unterschieden, sondern durch den verschiedenen Grad der Vollendung in der Erkenntniskraft. Da also alle diese Naturen geistig und somit von sich aus erkennbar sind, so besteht kein Hindernis dafür, daß der eine Engel vom anderen erkannt sei. II. Nicht von der Ursächlichkeit hängt es ab, daß der eine unter den Engeln die anderen kenne, sondern von der Ähnlichkeit, der Idee, die sie rücksichtlich der anderen in sich tragen. Abgesehen also von aller Ursächlichkeit würde der eine den anderen erkennen. III. Der eine Engel kennt den anderen durch die Idee, welche er von diesem in sich hat; und diese Idee ist vom anderen Engel, dessen Ähnlichkeit sie nicht in sich trägt, verschieden nicht gemäß stofflichem oder stofflosem Sein, sondern gemäß dem Sein, welches für sich besteht und dem, welches nur in der Idee ist. Denn der Engel selber ist eine für sich bestehende Form, ist Substanz im Sein der Natur. Das ist aber nicht die Ähnlichkeit von ihm, die als Idee im anderen Engel sich findet. Diese Idee ist da nicht für sich bestehende Form oder Substanz; sondern hat Sein nur als etwas Erkennbares. So hat z. B. die Farbe ihr natürliches Sein auf der Wand; in der Luft aber, welche zwischen dem Auge und der Wand liegt,hat sie Sein nur als etwas Sichtbares. IV. Gott hat jede Kreatur in einem gewissen Verhältnisse zum All, als Glied des Ganzen geschaffen, welches Er bilden wollte. Hätte also Gott später noch mehrere Engel machen oder noch mehrere Naturen einrichten wollen, so würde Er eben noch mehrere Ideen dem einzelnen Engel von Natur aus mitgegeben haben. So würde auch der Baumeister, der später das Haus vergrößern wollte, von vornherein ein umfassenderes Fundament legen. Also das steht auf der gleichen Linie für Gott: eine Kreatur zum All hinzufügen und eine Idee zum einzelnen Engel.
