Vierter Artikel. Das Gute in seinem Verhältnisse zum Zweckgrunde.
a) Es scheint nicht anzugehen, daß das Gute den Grund für die Zweckrichtung in sich trage. Denn I. Dionysius sagt: „Das Gute wird gelobt als etwas Schönes“ (de div. nom. 4.). Das Schöne hat aber vielmehr innere Beziehung zur Formalursache, zum inneren Wesen des Dinges wie zum Zwecke. Das Gute hätte also viel mehr Beziehung zur Formalursache, die innerhalb des Dinges selbst steht, wie zur Zweckrichtung. II. Das Gute ist der Anstoß für die Ausbreitung seines Seins, wie dies wieder aus Dionusius (de div. nom. 4.) geschlossen wird; denn er sagt, daß alles, was besteht, vom Guten kommt. Danach wäre also das Gute vielmehr in innerer Beziehung zur wirkenden Ursache. III. Desgleichen schreibt Augustin (I. de doctr. christ. c. 31.): „Weil Gott gut ist, sind wir.“ Von Gott aber sind wir ausgegangen, wie aus der wirkenden Ursache. Also wäre danach das Gute wiederum vielmehr die wirkende als die Zweckursache. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (II. Phys.): „Jenes, um dessentwillen etwas ist, das ist wie die Zweckursache und wie das Gute fürr das andere;“ wonach das Gute den maßgebenden Grund enthielte für die Zweckursache.
b) Ich antworte, daß, da das Gute nichts anderes ist als das, wonach alle Dinge streben, dies aber der Grund ist für die einzelne Zweckrichtung, offenbar das Gute den Grund für die Zweckursache in sich enthält. Jedoch bildet für das Wesen des „Gutsein“ die notwendige Voraussetzung das Wesen der wirkenden Ursache und das der Formalursache. Denn wir sehen, daß jenes Element, welches das erste beim Verursachen ist, als das zuletzt eintretende im Verursachten, in der Wirkung dasteht. Das Feuer z. B. wärmt zuerst, ehe es in anderes Sein seine Form einprägt, ehe es also verbrennt; während doch im Feuer selbst die Wärme erst folgt aus der substantialen Form des Feuers, und somit da, in der Ursache selber, nach dem Feuer ist. Im Verursachen aber findet sich zuerst das Gute oder Begehrenswerte und der Zweck, der die einwirkende Ursache zum Handeln antreibt; an zweiter Stelle kommt die Einwirkung selber, welche auf das Hervorbringen der bestimmten Form gerichtet ist; und endlich ist diese letztere wirklich vorhanden; es besteht also das ihr entsprechende Wesen. Sonach muß im Verursachten die Reihenfolge die umgekehrte sein. An erster Stelle tritt da auf die Form oder das Wesen, mit anderen Worten das Formalprincip, durch welches das betreffende Ding sein bestimmtes Sein hat. An zweiter Stelle kommt die einwirkende Kraft, gemäß dem daß sie thatsächlich im Sein entsprechend vollendet ist, wie es sich der wirkenden Ursache gebührt; denn jegliches Ding ist dann vollendet, wenn es ein sich selber ähnliches erzeugen kann. Endlich folgt der Grund dafür, daß das Ding in sich Güte hat, worauf im betreffenden Sein sich die Vollendung gründet.
c) Daraus ergiebt sich die Lösung der entgegengestellten Schwierigkeiten. I. „Schönsein“ und „Gutsein“ ist, soweit das einzelne Subjekt dafür in Frage kommt, dasselbe; denn beide Eigenschaften sind in ein und derselben Wirklichkeit begründet; nämlich in der inneren Wesensform des fraglichen Seins, welches davon der Träger oder das Subjekt ist. Und demgemäß wird das Gute gepriesen als etwas Schönes. Im thatsächlichen Sein ist da kein Unterschied. Nach der Auffassung der Vernunft aber besteht ein solcher. Denn das Gute hat Beziehung zum Begehrungsvermögen und somit ist es der innere Grund für die Zweckrichtung; nämlich das Begehren ist gleichsam eine Bewegung zur begehrten Sache hin. Das Schöne aber hat Beziehung zur Erkenntniskraft. Schön wird ja genannt, was, wenn es gesehen wird, gefällt. Es besteht das Schöne deshalb im gebührenden Verhältnisse der Teile zu einander. Denn die Sinne gefallen sich in Dingen, welche gebührende Proportionen in ihren Teilen haben, wie in dem, was mit ihnen Ähnlichkeit hat; ist ja doch auch der Sinn in gewisser Weise Vernunft, sowie jede Erkenntniskraft überhaupt. Und weil nun jegliche Kenntnis auf Ähnlichmachung beruht, die Ähnlichkeit aber (cf. oben) sich im eigentlichsten Sinne auf die Form, das Wesen bezieht; deshalb gehört das Schöne recht eigentlich zur Formalursache. II. Daß das Gute der Anstoß für die Ausbreitung des Seins ist, dem es zugehört, kommt daher, weil es dazu bewegt, daß es erstrebt und erreicht werde; in der Weise nämlich, wie dies der Zweck thut. III. Gut wird jemand genannt, der guten Willen hat; denn vermittelst des Willens gebrauchen wir die Fähigkeiten, welche wir in uns haben. Deshalb nennt man nicht einen Menschen gut, der eine gute Vernunft hat, sondern der einen guten Willen besitzt. Der Wille nun hat Beziehung zur Zweckursache als zu seinem eigentlichsten Gegenstande, wie das Auge zu den Farben. Wenn also Augustin sagt: „Weil Gott gut ist, deshalb sind wir;“ so ist dies auf die Zweckursache zu beziehen.
