Dritter Artikel. Alles Sein ist, soweit es ist, gut.
a) Es scheint unmoglich, daß alles, was Sein hat, gut ist; und zwar aus vier Gründen: l. „Gutsein“ fügt, wenn auch nur nach der Auffassung der Vernunft, etwas hinzu zum „Sein“. Alle Zusätze zum „Sein“ äber schränken dasselbe auf etwas Bestimmtes ein, wie z. B. der Zusatz: Substanz, Umfang, Eigenschaft etc. Das „Gutsein“ beschränkt somit das Sein“. Es gibt also ein Sein, was nicht gut ist; sowie es ein Sein giebt, was nicht Substanz oder Eigenschaft oder Umfang ist. II. Kein Übel kann ein Gut sein. Isaias (8, 20.) aber sagt: „Wehe euch, die ihr das Gute als Übel bezeichnet und das Übel als etwas Gutes.“ Es giebt sonach ein Sein, das Übel genannt wird. Nicht alles Sein ist also gut. III. „Gutsein“ will heißen begehrenswert sein. Der Urstoff, die materia prima, aber ist nicht begehrenswert (cf. „Natur, Vernunft, Gott“, Kap. 3. §. 2. Nr. 70—75), sondern hat nur Vermögen, um etwas zu werden; begehrt also vielmehr nur selber. Es ist also der Urstoff kein „Gut“. IV. „Den mathematischen Größen wohnt nicht der Charakter des „Gutsein“ inne;“ sagt Aristoteles (III. Metaph.). Solche Größen sind doch aber; sonst gäbe ees über sie keine Wissenschaft. Also besteht ein Sein, was nicht gut ist. Auf der anderen Seite sagt Paulus: „Jegliche Kreatür ist gut.“ (l. Timoth. 4.) Jegliches Sein aber, was nicht Gott ist, ist eine Kreatur. Also alles Sein ist gut.
b) Ich antworte, daß jegliches Sein, insoweit es Sein hat, thatsächlich besteht und somit demgemäß vollendet ist. Denn jegliche wirkliche Thätigkei ist immerdar eine gewisse Vollendung. Was aber vollendet ist, hat insoweit den Charakter des Begehrenswerten und Guten. Also ist jegliches Sein, insoweit es Sein hat, gut.
c) l. Zwischen solchen Zusätzen zum Sein, welche von einer Substanz oder einer Eigenschaft oder dem Umfange herrühren , und dem Zusätze, den das „Gutsein“ zum „Sein“ hinzufügt, ist ein größer Unterschied. Denn die erstgenannte Art von Zusätzen schränken das Sein ein, indem sie dasselbe auf eine gewisse Natur oder Wesenheit anwenden. So aber ist der Zusatz: „Gutsein“ nicht zu verstehen. Derselbe besagt nur, daß das Sein seiner Natur nach als Sein den Grund des „Begehrenswerten“, nämlich das Vollendete in sich hat, insoweit es thatsächlich und nicht bloß im Zustande des Vermögens ist. Das kommt dem Sein also zu, in welcher Substanz, Eigenschaft etc. es auch immer sich finde. Somit wird durch das „Güte“ das „Sein“ keineswegs eingeschränkt. II. Kein Sein ist ein Übel, insoweit es Sein hat, sondern insoweit es ein Sein entbehrt, was ihm zukommen müßte. Ein Mensch wird z. B. schlecht genannt, nicht insoweit er Mensch ist, sondern insoweit er der Tugend entbehrt, die er eigentlich haben müßte. Ein Auge ist krank, nicht insofern dasselbe sieht, sondern insofern seiner Schärfe etwas fehlt. IIl. Der Urstoff ist ein Sein nur demVermögen nach, weil er nur etwas zu werden vermag und nichts Bestimmtes ist; also ist er auch ein „Gut“ nur demVermögen nach. Oder nach den Platonikern kann gantwortet werden, daß der Urstoff wohl ein „Nichtsein“ sei, weil er mit dem Mangel an wirklichem Sein verbunden ist; jedoch eine gewisse Mitteilung des „Guten“ in sich trägt, insofern er Beziehung zum „Guten“ hat. Deshalb gebührt es ihm nicht, begehrenswert zu sein, sondern vielmehr bedarf er des Wirklichseins. IV. Die mathematischen Größen bestehen nicht für sich, getrennt von der Vernunft, in der positiven Wirklichkeit. Und wenn sie für sich beständen, so wären sie „gut;“ denn sie hätten „Sein“. Sie sind vielmehr nur gemäß der Vernunft und sehen ab von der positiv wirklichen Bewegung und vom Stoffe; und somit sehen sie auch ab vom Zweckgrunde, um dessentwillen ja eben die Bewegung im Stoffe stattfindet. Darum besteht ih ihnen kein „Gutsein“. Und das ist gar nicht unzuträglich, daß in einem Sein, das da rein Erzeugnis der Vernunft ist und in der Vernunft allein vorhanden ist, kein „Gutsein“ sich findet. Denn die Auffassung der Vernunft und somit der objektive Seinsgrund für das „Sein“ ist früher als die für das „Gutsein“.
