Vierter Artikel. Die Engel erkennen nicht, indem sie das eine mit dem anderen zusammensetzen oder das eine vom anderen trennen und so ein Urteil fällen.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. „Wo eine Menge Erkenntnisgegenstände sich finden, da ist ein Zusammensetzen der Verständnisse;“ sagt Aristoteles (3. de anima). Im Engel aber sind viele Erkenntnisgegenstände, da er durch verschiedene Ideen erkennt und nicht alles zugleich. Also ist da auch rücksichtlich des Verständnisses ein Zusammensetzen und ein Trennen. II. Die Verneinung ist weiter entfernt von der Bejahung wie zwei einander entgegengesetzte Naturen. Manche fernstehende einander entgegengesetzte Naturen aber erkennt der Engel nicht in einer Einheit, sondern durch verschiedene Erkenntnisformen. Also erkennt er auch die Bejahung und Verneinung durch Verschiedenes. Somit setzt er die verschiedenen Ausdrücke zusammen oder trennt sie voneinander. III. Die Rede ist das Zeichen des Verständnisses. Die Engel aber sprechen zu den Menschen durch verneinende oder bejahende Sätze; die doch nichts anderes sind als der Ausdruck des Zusammensetzens und des Trennens im Verständnisse. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (7. de div. nom.): „Die Kraft der Engelvernunft erglänzt gemäß der durchdringenden Einfachheit der von Gott gegebenen Erkenntnisgegenstände.“ Ein einfaches Verstehen aber vollzieht sich ohne voraufgehendes Zusammensetzen und Trennen. Also ohne letzteres erkennt der Engel.
b) Ich antworte: Wie in der Schlußfolge sich verhält die Folgerung zum Princip, so verhält sich im zusammensetzenden und trennenden Verstande das Prädikat zum Subjekte. Denn wenn der menschliche Verstand gleich vom Beginne an im Principe selbst die Schlußfolgerungen schaute, so bedürfte er keiner Bewegung vom Princip zur Folgerung; und ebenso wenn der menschliche Verstand in der einfachen Auffassung des Subjekts gleich alles sähe, was demselben zukommt und von ihm ausgesagt werden kann, so würde er nicht notwendig haben, zusammenzusetzen und zu trennen, damit er sehe, welche Eigenschaften sich mit dem Subjekt vertragen und welche nicht. Da also im Engel die Vernunft nicht mit solchen Schwächen behaftet ist wie bei uns, sondern gleich von vornherein in ihren Ideen als den Principien alles schaut, was sie darin natürlicherweise schauen kann; so sieht sie auch von vornherein alles, was dem gegebenen Subjekte zukommt und bedarf keines Zusammensetzens und keines Trennens. Nichtsdestoweniger erkennt der Engel, wie wir vermittelst des Zusammensetzens und Trennens vorgehen; denn das Zusammengesetzte erkennt er in einfacher Weise, das Bewegliche in unverrückbarer Weise, das Stoffliche in stoffloser Weise.
c) I. Nicht jede Menge von Erkenntnisgegenständen hat ein Zusammensetzen im Verständnisse zur Folge; sondern nur jene, wo man das eine mit dem anderen verbindet ober das eine vom anderen trennt. Der Engel aber versteht von vornherein, was miteinander verbunden oder voneinander getrennt ist. Also alles, was wir in dieser Weise erkennen, erkennt er, ohne vorher zusammenzusetzen oder trennen zu müssen, durch sein einfaches Verstehen. II. Verschiedene Naturen sind einander weniger entgegengesetzt als Ja und Nein mit Rücksicht auf die Seinsweise. Aber mit Rücksicht auf das Verständnis ist Ja und Nein mehr verbunden. Denn sowie ich die Wahrheit der Bejahung verstehe, erfasse ich das Falsche der Verneinung. III. Der dritte Einwurf beweist, daß die Engel unsere Weise zusammenzusetzen und zu trennen wohl erkennen; nicht aber daß sie sich derselben bedienen.
