Fünfter Artikel. In der Engelvernunft ist nichts Falsches.
a) Es scheint aber doch Falsches daselbst zu sein. Denn: I. Übermut gehört mit zum Falschen. In den Dämonen aber ist freche, übermütige Phantasie nach Dionysius. (4. de div. nom.) II. Unwissenheit ist die Ursache falscher Schätzung. In den Engeln aber ist nach Dionysius (6. de coel. hier.) Unwissenheit. III. Wer von der Wahrheit abfällt und eine verderbte Vernunft hat; der hat auch Falsches oder Irrtümliches in der Vernunft. Das aber sagt Dionysius (7. de div. nom.) von den Dämonen. Also kann in den Engeln Falsches sein. Auf der anderen Seite schreibt Aristoteles (3. de anima): „In der Vernunft ist, soweit sie ihren Gegenstand, das innere Wesen des Dinges auffaßt, immer Wahrheit.“ Und Augustin (83. 0p. qu. 32.): „Nur das Wahre wird aufgefaßt und verstanden.“ Die Engel aber sehen alles in ihrer einfachen rein vernünftigen Auffassung. Also ist nichts Falsches in ihnen.
b) Ich antworte: Diese Frage hängt von der vorhergehenden ab. Denn die Vernunft ist immer wahr in der Auffassung ihres eigensten Gegenstandes, des Wesens; wie das Auge nichts Anderes als die Farbe auffaßt. Bei uns tritt Täuschung und zwar infolge von äußerlichen Gründen, zufälligerweise Täuschung ein, nämlich dadurch, daß wir eine Auffassung der Vernunft mit einer anderen verbinden oder von ihr trennen, während in der Wirklichkeit das Gegenteil statthat. Das aber geschieht bei Begriffsbestimmungen, wenn der Begriff des einen für den des anderen genommen wird; als ob ich sagen wollte z. B.: Vierfüßiges, fliegendes Tier. Diese Charakteristika sind an sich richtig aufgefaßt und wahr. Aber die Zusammensetzung ergiebt etwas, was nicht existiert, weil die Merkmale miteinander im Widerspruche stehen. Kein Tier verhält sich so. Das geschieht nun bei zusammengesetzten Dingen, bei denen die Begriffsbestimmung von Verschiedenem hergenommen wird, wo der eine Teil das bestimmbare Element ist, der andere das bestimmende. Bei einfachen Wesenheiten aber ist in der Auffassung keine Falschheit. Denn entweder werden sie nicht ganz aufgefaßt; und dann werden sie gar nicht verstanden; — oder sie werden aufgefaßt wie sie sind. Auf demselben Wege also wie wir kommt der Engel nicht zu etwas Falschen; denn er hat in seiner Vernunft kein Zusammensetzen und kein Trennen. Er erkennt unmittelbar das Wesen des Subjekts und damit in einem alles, was davon ausgesagt oder verneint werden kann. Nun ist aber das Wesen des Dinges wohl das Princip alles dessen, was im Bereiche der Natur von selbem ausgesagt werden kann; nicht aber von dem, was von der freien übernatürlichen Bestimmung Gottes abhängt, daß es dem betreffenden Dinge zukomme. Die Engel also, welche einen geraden guten Willen haben, erlauben sich aus der erschöpfenden Kenntnis der Wesenheit eines Dinges kein Urteil über das, was mit dem nämlichen Dinge auf übernatürlicher Weise geschehen kann. In ihnen ist somit kein Irrtum. Die Dämonen aber, welche mit ihrem schlechten Willen sich der Führung von seiten der göttlichen Weisheit entzogen haben, urteilen manchmal ohne Rücksicht darauf absolut aus den natürlichen Verhältnissen des Dinges. Und auch sie täuschen sich nicht, wenn sie im Bereiche ihrer natürlichen Kräfte bleiben; sie täuschen sich aber mit Rücksicht auf das Übernatürliche. So z. B. wenn sie urteilen beim Anblicke eines toten Menschen, derselbe werde nicht wieder auferstehen; oder wenn sie den Menschen „Christus“ sehen und urteilen. Er sei nicht Gott.
c) Daraus lösen sich die Einwände. Die Frechheit der Dämonen ist gemäß dem, daß sie der göttlichen Weisheit nicht unterworfen sind. Unwissenheit ist in den Engeln mit Rücksicht auf das Übernatürliche. Und die rein vernünftige Auffassung ist nur falsch auf Grund äußerer Umstände in der Vergegenwärtigung derselben; nicht an sich.
