Sechster Artikel. In den Engeln besteht ein helles wissen, das dem Morgen ähnelt, und ein dunkleres Wissen, das dem Abende ähnelt.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Morgen und Abend sind mit Dunkel vermischt; was bei den Engeln nicht vorhanden ist. II. Zwischen Abend und Morgen ist die Nacht, und zwischen Morgen und Abend ist der Mittag. Also müßte bei den Engeln auch ein Nacht- und ein Mittagwissen sein. III. Das Wissen wird unterschieden gemäß den Verhältnissen der erkannten Gegenstände. (III. de anima.) Dreifach aber ist das Sein der Dinge: im göttlichen Worte, in der eigenen Natur und in der Vernunft der Engel, wie Augustin sagt. (2. super Gen. ad litt. 8.) Wird also wegen der ersten und zweiten Art zu sein in den Engeln ein Morgen- und Abendwissen angenommen, so muß die dritte Art der Kreaturen zu sein Anlaß geben für die Annahme eines dritten Wissens. Auf der anderen Seite kommt diese Unterscheidung von Augustin. (4. sup. Gen. ad litt. 22.; 12. de Civ. Dei c. 7.)
b) Ich antworte, diese Unterscheidung hier rührt vom heiligen Augustinus her. Derselbe nahm nämlich an, daß die sechs Tage, in denen Gott die Welt gemacht hat, nicht die nämlichen Tage seien, wie wir sie aufzufassen pflegen; — da ja die Sonne erst am vierten Tage ihren Kreislauf begonnen hat. Es seien diese Tage vielmehr ein einziger Tag und durch die Sechszahl werde ausgedrückt, wie der Kenntnis der Engel sechs verschiedene Grundarten des geschöpflichen Seins vorgestellt worden seien. Sowie nun beim Tage der Anfang „Morgen“ genannt wird und das Ende „Abend“; so nannte Augustin jene Kenntnis der Dinge, der gemäß sie dieselben in ihrer Wurzel, in den Exemplarideen im göttlichen Worte sahen: die helle Morgenkenntnis, die sich vollzieht gemäß dem Sein der Dinge im Worte. Die Kenntnis der Dinge aber, soweit sie in ihren eigenen Naturen außen bestehen, insoweit sie also beendet sind in ihrem geschaffenen Sein, nannte er Abendkenntnis. Denn vom „Worte“ gingen die Dinge aus und endeten im Sein, das sie in ihrer Natur haben.
c) I. Morgen und Abend nimmt Augustin nicht gerade wegen einer Helle, die noch mit Dunkel vermischt wäre; sondern vom „Anfange“ und „Ende“ des Tages. Oder es hindert auch nichts, daß (4. sup. Gen. ad litt. cap. 23) das eine „Licht“ genannt wird mit Rücksicht auf etwas Anderes und wiederum „Dunkel“ mit Rücksicht auf das Entgegengesetzte. So heißt das Leben der Gerechten im Vergleiche zu dem der Gottlosen: „Licht“; wie Paulus schreibt (Eph. 5.): „Ihr waret einmal Finsternis; jetzt aber seid ihr Licht im Herrn.“ Und doch wird dieses selbe Leben der Gerechten im Vergleiche zur Herrlichkeit als ein dunkles bezeichnet, wie es II. Petr. 1. heißt: „Ihr habt die Reden der Propheten, auf die ihr achtgeben müßt, wie auf ein Licht in dunklem Orte.“ So also ist die Kenntnis der Engel, die sich auf die Dinge in deren eigener Natur richtet, „Licht“ im Vergleiche zum Irrtum oder der Unwissenheit; sie ist „Dunkel“ im Vergleiche zur Anschauung des „Wortes“. II. Morgen- und Abendwissen gehört beides den erleuchteten Engeln zu, die unterschieden sind von den Finsternissen, d. h. von den bösen Engeln. Die guten Engel kennen nun wohl die Kreatur, aber sie bleiben bei dieser Kenntnis nicht stehen; das würde sein „Nacht werden“; — sie beziehen vielmehr selbe auf die Ehre und den Preis Gottes, in welchem sie wie im Princip alles kennen. Und deshalb wird nach dem „Abend“ nicht gesagt „Nacht“; sondern „Morgen“. Und so ist da „Morgen“ das Ende des vorhergehenden Tages und der Anfang des folgenden; insofern die Engel die Kenntnis der vorhergehenden Werke Gottes auf Gott beziehen. „Mittag“ aber wird inbegriffen unter dem Namen des Tages als das Zwischenglied zwischen zwei Grenzpunkten. Oder „Mittag“ kann auch das Wissen Gottes selbst genannt werden, das keinen Anfang und kein Ende hat. III. Die Engel selber sind Kreaturen. Also ihr Selbst ist inbegriffen im Abendwissen wie das Sein aller Dinge in deren eigener Natur.
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