Erster Artikel. Das Übel der Schuld kann in den Engeln sein.
a) Das scheint falsch. Denn: I. Das Übel der Schuld kann nur in jenen Dingen sein, welche vermögen oder geeignet sind, etwas zu sein oder zu werden, es aber nicht sind; die also Mangel haben an dem, was von Natur aus ihnen gebührte (9. Metaph.). Die Engel aber sind kraft ihrer Wesensform thatsächlich einzeln für sich bestehend und nicht kraft des Stoffes, welcher seiner Natur nach reines Vermögen für das Sein ist. Also kein Übel der Schuld kann in ihnen sein. II. Die Engel stehen höher im Sein wie die Himmelskörper; in diesen bereits aber ist keine Schuld. III. Was natürlich ist, das ist immer da. Den Engeln nun kommt es kraft ihrer Natur zu, Gott zu lieben; sie können deshalb davon nicht abfallen. Wer aber Gott liebt, sündigt nicht. IV. Der Wille richtet sich immer auf ein Gut, mag dies auch ein Scheingut sein. Der Engel aber kann seinen Willen auf kein Scheingut richten. Denn entweder ist in ihnen gar kein Irrtum; oder dieser folgt der Schuld, anstatt vorherzugehen und Anlaß zur Sünde zu geben. Also können die Engel nur das wahre Gut wollen, was keine Sünde ist. Auf der anderen Seite heißt es bei Job: „In den Engeln fand Er Bosheit.“
b) Ich antworte, daß jeder vernünftigen Natur es eigen ist, fallen oder sündigen zu können. Und kann eine solche Natur nicht sündigen, so rührt dies von der Gnade her, nicht von der natürlichen Kraft. Der Grund davon ist, daß Sündigen nichts anderes ist als ein Abweichen von der Gradheit, welche der Akt haben soll, sei es im Bereiche der Kunst sei es im Bereiche der Sitten. Jene Thätigkeit aber allein kann von dieser Gradheit nicht abweichen, deren Richtschnur und Regel die Kraft des Thätigseienden selber ist. Denn wenn die Hand des Künstlers selber die Richtschnur wäre für sein Einschneiden und Behauen, so könnte er das Holz gar nicht anders als recht und kunstgemäß behandeln. Ist aber die Richtschnur für sein Wirken außerhalb seiner Hand, im Modell oder in seiner Idee, so trifft es zu, daß sein Einschneiden und Behauen manchmal kunstgerecht ist und manchmal nicht. Nun ist der göttliche Wille wohl selber Regel und Richtschnur für seine Thätigkeit; denn zu einem höheren Zwecke steht derselbe nicht in Beziehung. Jeglicher Wille einer jeden Kreatur aber hat in seiner Thätigkeit die erforderliche Gradheit, je nachdem derselbe dem göttlichen Willen gemäß ist, dem es gebührt, den letzten Zweck festzusetzen; wie ja auch jeglicher Wille des tiefer Stehenden geregelt wird nach dem Willen des Vorgesetzten, z. B. der Wille des Soldaten nach dem Willen des Heerführers. So also kann im göttlichen Willen allein keine Sünde sein; in jeglichem Willen der Kreatur kann aber je nach der Beschaffenheit der Kreatur Sünde sein.
c) I. In den Engeln ist kein Vermögen, um gemäß dem natürlichen substantiellen Sein etwas Anderes zu werden. Es besteht jedoch in ihrer Vernunft das Vermögen, sich zu dem oder jenem einzelnen Sein hinzuwenden und demgemäß kann in ihnen Sünde sein. II. Die Himmelskörper haben nur ihr natürliches, substantielles Sein und deshalb auch nur demgemäße Thätigkeit. Sowie also in ihrer Natur nichts ist, was zum Vergehen hinneigt, so ist in ihrer Thätigkeit keinerlei Regellosigkeit. In den Engeln aber ist abgesehen vom natürlichen Sein noch die Thätigkeit des freien Willens und gemäß diefer trifft es zu, daß ein Übel in ihnen ist. III. Daß der Engel sich zu Gott wendet in natürlicher Liebe, soweit Gott für den Engel der Urheber und das Princip des natürlichen Seins ist, dies entspricht der Natur des Engels. Daß er aber zu Gott sich wende als dem Gegenstande übernatürlicher Seligkeit; dies ist aus der Liebe, welche aus der heiligmachenden Gnade hervorgeht und von dieser kann er sich infolge der Sünde abwenden. IV. Eine Todsünde trifft in doppelter Weise beim freien Willen zu. Einmal deshalb, weil ein Übel erwählt wird; wie z. B. der Mensch dadurch sündigt, daß er sich für den Ehebruch entscheidet, der an sich ein Übel ist. Eine solche Sünde geht immer aus irgend welcher Täuschung oder Unwissenheit hervor; denn sonst würde man nicht anstatt eines Gutes ein Übel an sich wählen. Der Ehebrecher irrt nicht im allgemeinen, daß in einem solchen Akte Ergötzlichkeit sei; aber er irrt im besonderen Falle, indem er diese Ergötzlichkeit eines ungeregelten Aktes als ein Gut erwählt, dem er sich jetzt zuwenden müsse und indem er dazu durch die Gewohnheit oder die Leidenschaft sich treiben läßt. In dieser Weise nun kann im Engel keine Sünde sein. Denn im Engel bestehen keine Leidenschaften, welche die Vernunft binden; und ebensowenig kann der ersten Sünde im Engel ein Zustand vorhergehen, welcher zur Sünde hinneigt. Dann aber trifft es für die vernünftige Kreatur zu, daß sie sündigt kraft ihres freien Willens, weil sie etwas erwählt, was an sich ein Gut ist; sie erwählt es aber nicht mit der gebührlichen Beziehung zur Regel oder Richtschnur. Danach würde der Mangel, welcher die Sünde begründet, nur auf seiten des Auswählens sein; das wohl, was die erwählte Sache anbelangt, gebührend geordnet ist, nicht aber was den Akt des Auswählens anbetrifft; wie wenn jemand beten wollte, ohne Rücksicht auf die von der Kirche bestimmte Ordnung. Und einer derartigen Sünde geht keine Unwissenheit vorher; sondern nur der Mangel in der Berücksichtigung dessen, was berücksichtigt werden soll. Und auf diese Weise sündigte der Engel, da er sich aus freier Wahl zu dem, was für ihn ein Gut war, wandte; aber ohne die Regel des göttlichen Willens zu berücksichtigen.
