Sechster Artikel. Die menschliche Seele ist unsterblich.
a) Die menschliche Seele scheint der Vergänglichkeit zu unterliegen. Denn: I. Ähnlich ist die Erzeugung der Tiere und die der Menschen; ebenso ist der Lebensverlauf ein ähnlicher. Beide sind aus Erde gemacht und „ähnlich ist der Lebenshauch in beiden“, sagt Ekkle. 3, 19., „und nichts hat der Mensch mehr wie das Tier.“ Also ist auch „ein und dasselbe Ende des Menschen und der Tiere; und ähnlich ist ihre Seinsbeschaffenheit“. Die Tierseele aber ist vergänglich. Also ist es auch die Menschenseele. II. Was aus dem Nichts ist, kann wieder zu Nichts werden; denn das Ende muß dem Anfange entsprechen. Wir sind aber aus dem „Nichts geboren“, heißt es Sap. 2. Also ist es auch wahr für die Seele wie für den Körper, was folgt: „und danach werden wir wieder gleich dem Nichts sein.“ III. Kein Ding besteht, ohne daß es ein ihm eigentümliches Thätigsein hätte. Die der menschlichen Seele eigene Thätigkeit aber ist das vernünftige Erkennen mit Hilfe des Phantasiebildes, was nicht ohne den Körper geschehen kann. Also bleibt die Seele nicht zurück nach Auflösung des Körpers. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (4. de div. nom.): „Von der Güte Gottes haben es die menschlichen Seelen, daß sie vernünftig erkennen und daß sie ein unvergänglich substantiales Leben besitzen.“
b) Ich antworte; notwendigerweise muß die menschliche Seele, die wir als das Princip des vernünftigen Erkennens bezeichnen, unvergänglich sein. In doppelter Weise ist etwas vergänglich: einmal an und für sich auf Grund seines Wesens; dann auf Grund eines anderen Seins, mit dem es verbunden ist. Nun ist es aber unmöglich, daß etwas Für-sich-bestehendes erzeugt werde oder vergehe auf Grund dessen, daß etwas Anderes erzeugt wird oder vergeht. Denn so kommt es einem Dinge zu, erzeugt zu werden oder zu vergehen, wie es ihm zukommt zu sein, da ja das Sein eben der Zweck der Erzeugung ist und beim Vergehen verloren wird. Was also an und für sich, nämlich auf Grund seines eigenen Wesens Sein hat, das kann auch nur an und für sich, nicht aber bei Gelegenheit eines anderen Seins erzeugt werden oder vergehen. Was aber nicht für sich besteht, wie Eigenschaften und die in ihrem Wesen den Stoff einschließenden Formen, z. B. die weiße Farbe, die Wärme; das wird erzeugt und vergeht zugleich mit der Erzeugung und dem Vergehen des entsprechend Zusammengesetzten. Nun ist oben gezeigt worden, daß die Tierseele nicht für sich besteht, sondern nur die Menschenseele. Also vergeht die Tierseele beim Vergehen des Leibes. Die menschliche Seele aber besteht für sich; also kann sie nicht deshalb vergehen, weil etwas Anderes, z. B. der Leib vergeht. Aber auch daß sie auf Grund des eigenen Wesens, also für sich allein vergehe, ist nicht möglich; wie dies bei keiner rein für sich bestehenden Form möglich ist. Denn offenbar ist das, was einem Dinge an und für sich, d. h. was ihm dessen Wesen nach zukommt, von dem Dinge untrennbar. Das thatsächliche Sein aber kommt der Form, die nur bestimmend oder bethätigend ist, auf Grund ihrer selbst, ihrem Wesen nach zu. Sonach erlangt der Stoff wohl thatsächliches Sein dadurch, daß er eine Wesensform erlangt; und dadurch vergeht sein thatsächliches Sein, daß er die leitende und bestimmende Form verliert. Das aber ist unmöglich bei der reinen Form, daß sie von sich selber getrennt werde. Eine für sich bestehende Form hört niemals auf zu sein, soweit es auf ihre Natur ankommt; letztere hat keinerlei Moment in sich, welches zum Anderswerden, also zum Vergehen treibt. Noch mehr! Selbst wenn die menschliche Seele aus Stoff und Form zusammengesetzt wäre, könnte sie nicht vergänglich sein. Denn Vergänglichkeit ist nur in einer solchen Natur, wo ein Gegensatz ist; Zeugungen nämlich und die verschiedenen Arten des Vergehens vollziehen sich von einem Gegensatze zum anderen. Danach sind die Himmelskörper, weil sie keinen dem Gegensatze zugänglichen Stoff haben, auch unvergänglich. In der vernünftigen Seele aber kann es keinen Gegensatz geben; denn sie nimmt alles auf gemäß der Beschaffenheit ihrer Seinsweise. Die Dinge aber, welche sie in sich aufnimmt, sind ohne Gegensatz zu einander. Denn die allgemeinen inneren Seinsgründe für die Gegensätze sind einander nicht entgegengesetzt; ein und dieselbe Art Wissen erstreckt sich auf beide Teile eines Gegensatzes, wie die eine Farbenlehre gleichmäßig schwarz und weiß umfaßt und die eine Sittenlehre Tugend und Laster. Also auch nach dieser Seite hin kann die vernünftige Seele nicht vergänglich sein. Das Zeichen dieser Unvergänglichkeit kann man darin sehen, daß jedes Ding gemäß der Art und Weise seiner Natur nach Sein verlangt. Das Verlangen aber bei den erkennenden Wesen folgt der Erkenntnis. Nun erkennt der Sinn bloß unter Beschränkung von Zeit und Ort; während die Vernunft das Sein selbst erfaßt und ohne irgend welche Beschränkung von der Zeit her. Deshalb hat auch jedes vernünftige Wesen das natürliche Verlangen, immer zu sein. Das naturnotwendige Verlangen aber kann nicht ein eitles, grundloses sein. Also ist jede vernünftige Substanz unvergänglich.
c) I. Salomon spricht, wie aus Sap. 2. hervorgeht, in der Person der Thoren. Was also da gesagt wird von ähnlichem Anfange und Ende, das hat Beziehung auf den Leib, nicht auf die Seele. Denn die Tierseele wird von körperlicher Kraft hervorgebracht, die menschliche von Gott. Deshalb heißt es Gen. 1. für die Tiere: „Die Erde bringe hervor lebende Wesen;“ für den Menschen aber: „Er, Gott, hauchte ihm ins Angesicht den Hauch des Lebens.“ Und deshalb schließt Ekkle.: „Der Staub kehre zurück zur Erde, woher er gekommen; und der Geist zu Gott, der ihn gegeben.“ Auch der Lebensverlauf ist nicht ähnlich; denn der Mensch hat geistiges Erkennen, nicht aber das Tier. II. „Geschaffen werden können“ bedeutet nicht ein bestehendes Vermögen, welches die Thätigkeit des Erschaffenden in sich aufnimmt; sondern weist nur auf die Thätigkeit des Schaffenden hin, der aus Nichts etwas hervorbringen kann. Und ebenso besagt der Ausdruck, daß etwas wieder zu Nichts werden kann, nicht ein Vermögen in der Kreatur, welches zum absoluten Nichts drängte; sondern nur die Macht des Schöpfers, welcher gemäß Er nicht mehr Sein schenkt. Vergänglich aber wird etwas deshalb genannt, weil in der Natur oder in dem betreffenden Sein selber ein Moment sich findet, welches zum Anderswerden drängt, also dahin treibt, dieses bestimmte Sein, was besteht, nicht zu haben. III. Mit Hilfe des Phantasiebildes erkennen ist die der vernünftigen Seele eigene Thätigkeit, soweit dieselbe mit dem Körper verbunden ist. Sobald sie sich vom Körper trennt, hat sie eine andere Weise zu erkennen, die der Erkenntnisweise der ganz vom Stoffe getrennten Substanzen ähnlich sein wird. (Kap. 89, Art. 1.)
