Fünfter Artikel. Die Seele ist nicht zusammengesetzt aus Stoff und Form.
a) Das Gegenteil scheint wahr zu sein. Denn: I. Was vom empfangenden oder leidenden Vermögen gilt, das gilt in entsprechender Weise auch vom bethätigenden Akt; beide stehen ja in Wechselbeziehung. Alles aber, was auch immer thatsächliches Sein hat und deshalb bethätigen kann, hat dies vom ersten Akt, dem reinen Thatsächlichen, also von Gott. Was demgemäß auch immer im Vermögen zu etwas ist, was etwas werden kann, das hat dies durch die Teilnahme am Urvermögen, d. h. am Urstoffe. Da nun die Seele nach manchen Seiten hin im Zustande des Vermögens sich findet — sie kann z. B. manchmal nur verstehen, versteht aber nicht in thatsächlicher Wirklichkeit — so hat sie danach Anteil am Urstoffe als einem Teile in ihr. II. Die Eigentümlichkeiten des Stoffes sind: 1. Subjekt für gewisse Eigenschaften und Zustände sein, wie das Eisen Subjekt oder Träger der Härte ist; — und: 2. verändert werden. Die Seele aber ist Subjekt oder Träger von Wissen und Tugend; sie wird verändert vom Zustande des Nichtwissens zu dem des Wissens. Also kommen ihr die Eigentümlichkeiten des Stoffes zu. Also ist in ihr Stoff. III. „Was keinen Stoff in sich hat, besitzt in sich keine Ursache seines Seins,“ heißt es 8 Metaph. Die Seele aber besitzt in sich eine Ursache für ihr Sein. Also hat sie in sich Stoff. IV. Keinen Stoff in sich haben ist ebensoviel als rein bestimmende Form, also reiner und unendlicher Akt sein; das aber kommt nur Gott zu. Also hat die Seele in sich Stoff. Auf der anderen Seite beweist Augustin (7. de Gen. ad litt. 6., 7., 8.), „daß die Seele weder aus körperlichem noch aus geistigem Stoffe sei;“ d. h. weder selber Stoff sei noch eine solche Kraft wie die Elektricität, der Magnetismus, das Licht, die da in ihrer wesentlichen Thätigkeit nur durch Anwendung auf Stoffliches sich offenbart.
b) Ich antworte, daß die Seele keinerlei Stoff in sich hat. Das ergiebt sich aus zwei Erwägungen; zuerst aus der Natur der Seele im allgemeinen. 1. Zur Natur der Seele gehört es, daß sie die bethätigende Form eines Körpers ist. Sie ist dies also entweder als Ganzes betrachtet oder gemäß einem Teile. Ist sie als Ganzes betrachtet bethätigende Form, so kann unmöglich der Stoff ein Teil von ihr sein. Denn der Stoff ist seiner Natur nach nur ein Vermögen, wirkliches Sein zu werden. Was aber seiner Natur nach nur etwas werden, also von etwas bestimmt werden kann; das kann nicht ein Teil dessen sein, was seiner Natur nach nur bestimmend und bethätigend ist. Ist die Seele aber bethätigende Form nur nach einem Teile von ihr, so werden wir eben diesen Teil „Seele“ nennen; und jenen Teil, der da Stoff ist, werden wir als das erste Beseelte und thatsächlich Bestimmte bezeichnen. 2. Dasselbe ergiebt sich im besonderen aus der Erwägung der menschlichen Seele, insoweit sie vernünftig erkennend ist. Denn offenbar tritt jegliches in ein anderes Sein in der Weise ein, wie dieses Sein beschaffen ist. So aber wird jedes Ding erkannt, wie seine Form im Erkennenden ist. Nun erkennt die vernünftige Seele ihren Erkenntnisgegenstand in seiner von allem einzeln Stofflichen losgelösten, an sich seienden Natur; wie z. B. sie den Stein erkennt weder weil er groß oder klein, schwarz oder weiß, sondern weil er an sich Stein ist. Also ist die Form des Steines nach der eigenen formalen Wesenheit, ohne notwendige Beziehung auf etwas einzeln Stoffliches, in der vernünftigen Seele. Es muß somit auch die vernünftige Seele ein dementsprechendes Sein haben. Sie muß eine von allem Stofflichen losgelöste Form sein und nicht aus Stoff und Form zusammengesetzt. Wäre letzteres der Fall, so müßten die Formen in sie eintreten, insoweit sie Einzelformen, d. h. mit Einzelbestimmungen verknüpft sind und nicht nach ihrer allgemeinen Natur. Dann aber würde die Vernunft nur das Einzelne, Besondere erkennen; wie dies bei den Sinnen geschieht, welche die Erkenntnisformen vermittelst eines stofflichen Organes in sich aufnehmen. Denn der Stoff ist das Princip davon, daß die an sich allgemeinen Formen zu einzelnen und besonderen werden. Also muß die vernünftige Seele sowie jede vernünftige Substanz unumgänglich notwendig ohne innere Zusammensetzung von Stoff und Form sein.
c) I. Der erste Akt oder die reine Thatsächlichkeit, Gott, ist das Princip von allem Thatsächlichen. Es tritt deshalb in die Dinge nicht wie ein Teil ein, sondern diese gehen ganz so von Gott aus, wie Gott in jedem seine Güte mitteilen will. Das Vermögen aber, welches den Akt oder die thatsächliche Wirklichkeit trägt und empfängt, muß dieser letzteren entsprechend beschaffen sein. Nun sind die verschiedenen Wirklichkeiten, welche vom ersten unendlichen Akte ausgehen und Mitteilungen von dessen Güte sind, verschieden voneinander. Es kann also nicht ein und dasselbe Vermögen es sein, welches alle diese Thatsächlichkeiten trägt und empfängt, wie es ein und derselbe Akt ist, von dem all dieses thatsächliche Sein in seinen verschiedenen Abstufungen hervorgeht. Sonst würde ja dieses eine Vermögen zu empfangen sich ebensoweit erstrecken und auf derselben Stufe stehen wie der reine Akt, der da giebt und bestimmt; es würde zwei einander gleiche Unendlichkeiten geben. Somit ist wohl ein empfangendes und bestimmbares Vermögen in der Seele; aber es ist nicht derselben Art wie das des Urstoffes, sondern angemessen der Beschaffenheit der thatsächlich bestimmenden Form. Das ergiebt sich aus der Verschiedenheit dessen, was in den Stoff und was in die Seele eintritt. Denn der Stoff nimmt die Formen in sich auf nach allseitig bestimmten Einzelverhältnissen in Zeit und Ort; die Vernunft dagegen als von allen beschränkten Einzelheiten losgelöste, als absolute Formen. Ein solches Vermögen aber bestimmt zu werden, wie es in der vernünftigen Seele existiert, zeigt nicht an, daß sie zusammengesetzt ist aus Stoff und Form. II. Subjekt sein und verändert werden, kommt dem Stoffe zu, in wieweit er im Zustande des Vermögens ist. Sowie also die Natur des Vermögens im Stoffe und in der Seele eine verschiedene ist, so ist auch die Art und Weise wie die Seele Subjekt ist und der Veränderung unterliegt, eine verschiedene von der des Stoffes. Denn insofern ist die Vernunft Subjekt des Wissens und wird von einer unwissenden eine wissende, als sie im Zustande des Vermögens ist mit Rücksicht auf die bethätigenden Erkenntnisformen, d. h. auf die Ideen. III. Die Wesensform ist Ursache für das wirkliche Sein des Stoffes; und ebenso ist der einwirkende Grund eine solche Ursache. Und zwar ist das Verhältnis so, daß der einwirkende Grund insoweit Ursache des stofflichen Seins ist als derselbe den Stoff verändert und ihn somit dahin befähigt, die Wesensform als die im Dinge selbst bestimmende Grenze des stofflichen Seins thatsächlich zu tragen. Ist aber eine Form für sich bestehend, so hat sie kein Sein in sich, worin eine andere Form die bestimmenden Grenzen zieht; und sie hat keinen Grund, der den Stoff verändert und zum Tragen des bestimmten Aktes befähigt. Deshalb fügt Aristoteles zu den angeführten Worten hinzu: „In den Dingen, welche zusammengesetzt sind aus Stoff und Form, besteht keine andere Ursache als jene, welche das Vermögen des Stoffes zum thatsächlichen Sein hin verändert; wo aber kein Stoff ist, da sind die Formen, welche einfach das Sein geben, selber die ganze Wesenheit.“ IV. Alles, was durch Mitteilung empfangen wird, steht zu dem, was empfängt, in Beziehung wie das Bethätigende und Bestimmende zum Bestimmbaren. Welche Wesensform nun auch immer im Bereiche des Geschaffenen als für sich bestehend angenommen wird, sie muß doch immer das Sein oder die Existenz durch Mitteilung empfangen. Denn wenn das Leben selber für sich bestände oder was auch immer Ähnliches gesagt würde, so würde es, wie Dionysius (5. de div. nom.) schreibt, das Sein durch Mitteilung empfangen. Ein solch mitgeteiltes Sein aber wird begrenzt durch die Fähigkeit des Empfangenden oder Anteilhabenden. Gott also allein, der das Sein selber ist, ist auch reine und unendliche Thatsächlichkeit. In den vernünftigen Substanzen aber ist zwar keine Zusammensetzung aus Stoff und Form, jedoch aus Vermögen und jenem thatsächlichem Sein, das mitgeteilt worden ist; sie sind zusammengesetzt aus dem „was ist“ und „wodurch es ist“, aus quod est und quo est; denn das Sein ist das, wodurch etwas ist.
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