Erster Artikel. Gott ist unendlich.
a) Dies scheint aus den Charaktereigentümlichkeiten des „Unendlichen“ hervorzugehen, daß es Gott nicht zukommen kann. Denn: I. Das „Unendliche“ ist unvollkommen, gleichsam unvollendet, unfertig; ist seiner Natur nach Teil und Stoff, wie Aristoteles sagt (3. Physic.). Gott aber ist allseitig vollkommen. Also ist Er nicht unendlich. II. „Endlich“ und „unendlich“ werden vom Umfange ausgesagt, der doch Gott nicht zukommt, da Er kein Körper ist. III. Was in der Weise hier ist, daß es nicht anderswo ist, ist örtlich begrenzt. Was also in der Weise Sein hat, daß es nichts anderes ist, das ist der Substanz nach begrenzt. Gott aber ist so, daß Er nichts anderes ist; denn Er ist weder Stein noch Holz. Also ist Gott nicht unberenzt oder unendlich nach seiner, Substanz. Auf der anderen Seite sagt Damascenus (I. de fid.orth. c. 4) „Gott ist unendlich, ewig und unermeßlich.“ .
b) Ich antworte, daß die alten Philosophen insgesamt dem erften Princip alles Seins Unendlichkeit zuschrieben (3. Phys.); und zwar mit Recht. Denn sie erwogen, daß alles was ist und noch weiter ohne Ende sein kann, vom ersten Princip ausgehe. Weil sie aber irrten betreffs der Natur des ersten Princips; deshalb war auch ihre Ansicht über den Charakter seiner Unendlichkeit falsch. Denn da sie als erstes Princip den Stoff ansahen, so legten sie ihm auch das dem Stoffe eigene Endlose bei und meinten, etwas endlos Körperliches, ein unendlicher Körper, sei das erste Princip aller Dinge. . Es ist also wohl zu erwägen, daß „unendlich“ (unbeendet) etwas aus dem Grunde ist, weil es nicht „geendet“ ist. Es wird aber gewissermaßen der Stoff in seinem Vermögen geendet durch die hinzutretende Form; wie der Marmorstoff durch den „Zeus“, so daß er nichts anderes mehr werden kann; — und die Form wird in gewissem Sinne „geendet“ durch den Stoff; wie z. B. die Form „Zeus“ nun nicht mehr „hölzern“ werden kann, da sie einmal einen „marmornen“ Bestand hat. Denn der Stoff ist, bevor er die Form erhält, im Zustande des Vermögens für viele andere Formen, hat er aber einmal eine erhalten, so wird er durch dieselbe „geendet“ in seinem Vermögen, er kann nicht zugleich eine andere haben. Die Form wird ihrerseits auch „geendet“ durch den Stoff, insofern sie vorher gleichgültig war für viele Arten von Stoff; sobald sie aber im Stoffe ist, wird sie in bestimmter Weise die bestimmende Form einer ganz gewissen Sache. Der Unterschied besteht jedoch darin, daß der Stoff vervollkommnet wird oder thatsächliches Sein bekommt durch die Form, welche ihn „endet', begrenzt. Sonach hat das Unendliche, soweit es dem Stoffe zugeschrieben wird, den Charakter des Unfertigen, des Unvollkommenen; denn es steht auf derselben Stufe wie der Stoff, der ohne Form ist, der also nur im Zustande des Vermögens, nicht des wirklichen Seins sich befindet. Die Form aber wird nicht vervollkommnet durch den Stoff. Das Dreieck z. B. bleibt durchaus Dreieck, wenn es mit dem Holze verbunden wird; nur das Holz wird zu etwas bestimmt Geformten. Vielmehr wird die Weite der Form, kraft deren sie von sich aus betrachtet viele Arten von Stoff bestimmen konnte, auf diesen einen Stoff hin gelenkt und dadurch beschränkt. Sonach besitzt das Unendliche, soweit es allein von seiten der Form her erwogen wird, den Charakter des Vollkommenen und Vollendeten; es ist nicht beschränkt auf einen bestimmten Stoff. Das Sein aber ist das, was sich am meisten von seiten der Form her hält, denn alles wird von ihm für die thatsächliche Wirklichkeit in letzter Linie bestimmt. Da also das göttliche Sein von keinerlei Stoff getragen wird, sondern in Sich selbst für sich besteht; da Gott ferner sein eigenes Sein ist, so wird auch seine Bestimmtheit durch keinerlei Stoff beschränkt. Er ist deshalb unendlich in dem Sinne, daß Er ohne alle Schranken vollkommen und auf nichts außerhalb Seiner selbst in seinem für sich bestehenden Sein angewiesen ist. I. Der erste Einwurf geht von der Unendlichkeit des Stoffes, also dem ohne Ende Unvollkommenen oder Unfertigen aus II. Die Grenzen des Umfanges sind wie die Form desselben. Das Zeichen davon besteht darin, daß die Figur, welche nichts anderes ist als die Begrenzung des Umfanges, eine gewisse Form des letzteren bildet. Deshalb handelt dieser Einwurf ebenfalls vom Unendlichen, wie es dem Stoffe zukommt, also vom Mangel oder von Unvollkommenen ohne Ende. III. Dadurch selber daß Gott das für sich bestehende Sein ist, erscheint Er als durchaus getrennt von allem anderen und deshalb als unendlich an Vollkommenheit, weil sein Sein von keinerlei Stoff getragen und beengt wird. Ebenso würde die „weiße Farbe“ dadurch allein von allen anderen weißen Dingen sich unterscheiden und in ihrer Weiße ohne Schranken sein, daß sie für sich allein bestände ohne in irgend einem Stoffe wie in einem Träger zu sein.
