Vierter Artikel. Die Vernunft versteht den Willensakt.
a) Dem scheint nicht so. Denn: I. Um verstanden zu werden, muß etwas in der Vernunft in gewisser Weise gegenwärtig sein. Der Willensakt aber ist auf keine Weise in der Vernunft gegenwärtig; da Wille und Vernunft zwei verschiedene Vermögen sind. II. Die Thätigkeit hat ihr Gattungssein vom Gegenstande. Ein anderer aber ist der Gegenstand der Vernunft und ein anderer der des Willens. Also hat der Willensakt ein ganz anderes Gattungssein wie der Vernunftakt, wird also vom Vernunftakt nicht erkannt. III. Augustin (10. Conf. 17.) schreibt den Neigungen der Seele dies zu, daß sie weder durch Abbilder erkannt werden wie die Körper; noch durch ihre Gegenwart wie die Künste (oder Zustände, siehe oben); sondern durch gewisse Begriffe. Andere Begriffe aber scheinen in der Seele nicht zu bestehen als die Wesenheiten der erkannten Dinge (wie die eigene Natur, die eigenen Vermögen etc., s. oben) oder die Ähnlichkeiten der Dinge (wie vom Steine). Unmöglich also kann die Vernunft die Neigungen der Seele kennen, die nichts Anderes sind wie die Willensakte und die weder durch ihr Wesen noch durch Ähnlichkeiten in der Vernunft sich befinden.
b) Ich antworte, der Willensakt sei (Kap. 59, Art. 1) nichts Anderes wie eine gewisse Hinneigung, welche der aufgefaßten Wesensform folgt; wie das natürliche Begehren die Hinneigung ist, welche der Naturform folgt, z. B. der Naturform des Steines die Hinneigung zur Tiefe. Nun ist aber die Hinneigung in einer jeden Sache gemäß der Seinsweise dieser Sache. Somit ist das natürliche Begehren von Natur aus in der Sache, soweit sie ihrer Natur treu bleibt; das sinnliche Begehren ist auf sinnliche Weise im sinnlich Empfindenden. Und ähnlich ist die vernünftige Neigung, die da Willensakt genannt wird, in vernünftiger Weise im vernünftig Erkennenden; nämlich wie im Princip und im subjektiven Träger. Deshalb sagt Aristoteles (3. de anima): „Der Wille ist in der Vernunft.“ Was aber in einer der Vernunft angemessenen Weise, was nämlich als vernünftig in jemandem ist, das wird folgerichtig von demselben auch vernünftig aufgefaßt. Deshalb wird der Willensakt von der Vernunft erkannt, sowohl insoweit jemand auffaßt, er wolle, als auch insoweit jemand die Natur dieses Aktes erkennt und demgemäß die Natur des Princips, aus dem er hervorgeht, nämlich des Willensvermögens oder eines Zustandes (einer Tugenb) im Willen.
c) I. Der Einwurf übersieht, daß Wille und Vernunft, wenn auch verschiedene Vermögen, doch in ein und derselben Substanz wurzeln; und daß somit, was im Willen ist, nicht als abwesend bezeichnet werden kann für die Vernunft. Da vielmehr das eine dieser Vermögen im Verhältnisse des Princips steht zum anderen; so folgt, daß, was im Willen ist, dies auch in geeigneter Weise in der Vernunft sei. II. Das Wahre ist ein Gut und das Gute ist eine Wahrheit. Also kann das, was dem Willen angehört, unter die Kenntnis der Vernunft fallen; und was der Vernunft angehört, das kann der Wille wollen. III. Die Neigungen der Seele sind weder allein durch ihre Ähnlichkeit in der Seele wie die Körper; noch sind sie in der Seele durch ihre Gegenwart wie Zustände an einem Wesen als in ihrem Träger oder Subjekte sind, wie etwa die Künste. Vielmehr sind sie in der Vernunft, wie das von einem Princip Abgeleitete im Princip vorhanden ist, in welchem der leitende Begriff dieses Abgeleiteten existiert. Und so sagt Augustin, die Willensakte seien im Gedächtnisse vermöge gewisser Begriffe.
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