Dritter Artikel. Die Vernunft erkennt ihre eigene Thätigkeit.
a) Dem steht entgegen: I. Nur das wird im eigentlichen Sinne gekannt, was Gegenstand der Erkenntniskraft ist. Die Thätigkeit des Erkennens aber ist verschieden vom Gegenstande des Erkennens. Also ist die erstere nicht Gegenstand des Erkennens. II. Was erkannt wird, das muß vermittelst irgend welcher Thätigkeit erkannt werden. Erkennt also die Vernunft ihre eigene Thätigkeit, so kann sie dieselbe nur erkennen vermittelst einer anderen Thätigkeit und diese wieder vermittelst einer anderen und so endlos weiter; was auf dasselbe hinaus kommt als wenn die erstere Thätigkeit nicht erkannt würde. III. Der Sinn empfindet nicht seinen eigenen Akt; sondern der „Gemeinsinn“ nimmt wahr, daß das Auge sieht, das Ohr hört. Also ist das auch analog bei der Vernunft der Fall; denn wie der Sinn sich zu seiner Thätigkeit verhält, so die Vernunft zur ihrigen. Auf der anderen Seite sagt Augustin (10. de Trin. 10.): „Ich erkenne, daß ich erkenne.“
b) Ich antworte, daß ein jegliches erkannt und verstanden wird, je nachdem es thatsächliches Sein hat. Die letzte Vollendung der Vernunft im thatsächlichen Sein ist aber deren Thätigkeit. Denn die Thätigkeit der Vernunft hat nicht außen ihren Abschluß, wie das Sägen, Wärmen; ist also nicht die Vollendung von etwas Anderem, sondern sie bleibt im Thätigseienden als Vollendung desselben. Es ist dies also das Allererste, was betreffs der Vernunft verstanden wird, nämlich daß sie versteht. Das Verhältnis aber der verschiedenen Arten Vernunftkräfte zu ihrem eigenen Thätigsein ist verschieden. Da ist nämlich zuerst die göttliche Vernunft, die ihre eigene Thätigkeit ist; und danach ist es in Gott dasselbe, daß Er sein Wesen versteht und daß Er sein Verstehen versteht. Es besteht dann die Engelvernunft, welche nicht ihre eigene Thätigkeit ist; jedoch ist der erste Gegenstand ihres Verstehens ihr eigenes Wesen. Wenn also im Engel der Auffassung nach es etwas Anderes ist, daß er sein eigenes Verstehen versteht und daß er sein Wesen versteht, denn sein Wesen ist nicht seine Thätigkeit; so erkennt er doch zugleich und mit dem nämlichen Akte sein Wesen und sein Thätigsein. Denn sein Wesen verstehen ist die eigenste Vollendung und Thatsächlichkeit dieses selben Wesens; zugleich aber und im selben Akte wird ein Ding mit seiner Vollendung verstanden. Die menschliche Vernunft nun ist weder ihr Erkennen noch ist ihr Wesen der erste Gegenstand ihres Erkennens, sondern dies ist etwas außerhalb der Seele Befindliches: nämlich das Wesen des stofflichen Dinges. Und daher ist dieser Gegenstand zuerst von der Vernunft gekannt; dann ist gekannt die Thätigkeit, womit der betreffende Gegenstand aufgefaßt und verstanden worden; und endlich wird durch die Thätigkeit die Vernunft selbst gekannt, insofern deren Vollendung das Erkennen over Verstehen ist. Und deshalb sagt Aristoteles: „Der Gegenstand wird eher gekannt wie die Thätigkeit und diese eher wie das Vermögen.“ (2. de anima.)
c) I. Der Gegenstand der Vernunft ist das Wahre; darin ist aber auch die vernünftige Thätigkeit selber als etwas Seiendes mitenthalten. Sie wird deshalb von der Vernunft erkannt, aber nicht in erster Linie. Denn nicht jedes Sein und jedes Wahre ist im gegenwärtigen Leben der erste und unmittelbare Gegenstand der Vernunft; sondern dies ist das Sein und das Wahre, soweit es im Stofflichen sich findet und von da aus kommen wir zur Kenntnis des anderen. II. Das menschliche Erkennen ist nicht die Thätigkeit und die Vollendung des erkannten Gegenstandes, wie beim Engel, wo das eigene Wesen das erste und leitende Erkannte ist. Und so kann nicht mit einem Akte erkannt werden die Natur des stofflichen Dinges und das Erkennen oder Verstehen selber; wie ein Ding zugleich mit seiner Vollendung erkannt wird, das Engelwesen z. B. zugleich mit dem Erfassen desselben. Deshalb ist es eine andere Thätigkeit, womit die Vernunft den Stein erkennt; und eine andere, womit sie erkennt, daß sie den Stein erkennt u. s. w. Und das ist nicht unverträglich mit der Natur der Vernunft, daß sie dem Vermögen nach unendlich ist; also immer wieder ihr Erkennen mit einem anderen Erkennen auffassen kann. (Kap. 86, 2.) III. Der äußere Sinn erkennt dadurch, daß sein stoffliches Organ unter dem Einflüsse des äußeren Wahrnehmbaren leidet und sich verändert. Etwas Stoffliches kann aber unmöglich sich selbst verändern und unter sich selber leiden; sondern das eine leidet unter dem anderen. Deshalb wird also der eigene Akt des äußeren Sinnes nicht von diesem selber wahrgenommen, wie das Auge nicht sieht, daß es sieht; sondern in entsprechender Weise vom „Gemeinsinn“. Unsere Vernunft aber erkennt nicht kraft eines stofflichen Organs; und somit besteht keine Analogie.
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