Vierter Artikel. Die menschliche Seele ist nicht hervorgebracht vor dem Körper.
a) Das Gegenteil geht aus Folgendem hervor: I. Das, was geschaffen worden, ist als solches dem Werke der Scheidung und der Ausschmückung vorhergegangen. (Kap. 66 und 70.) Die Seele aber ist geschaffen; und der Körper ist gebildet worden am Ende der Ausschmückung. Also ist die Seele vor dem Körper geworden. II. Die Seele kommt ihrer Natur nach mehr überein mit den Engeln wie mit den Tieren. Die Engel aber sind im Beginne geschaffen worden vor den Körpern oder zugleich mit dem ersten Körperlichen. Also. III. Das Ende entspricht dem Anfange. Die Seele aber bleibt für sich allein nach der Auflösung des Körpers. Also ist sie auch vor dem Körper. Auf der anderen Seite wird das bethätigende Sein zugleich mit dem Bestimmbaren, was thatsächlich sein soll. Die Seele aber ist die dem Körper eigene Thatsächlichkeit. Also wird sie mit dem Körper.
b) Ich antworte. Origenes meinte, alle geistigen Substanzen seien vor den Leibern geschaffen worden; und sie wären der Natur nach gleich, nur in den Verdiensten verschieden, nach deren einzelner Beschaffenheit sie mit höheren oder niederen Körpern verbunden oder in ihrer geistigen Reinheit verblieben sind. Darüber ist aber bereits Kap. 47, Art. 2 gehandelt worden. Augustinus (7. super Gen. ad litt. 24.) meint auch, die Seele sei erschaffen vor dem Leibe; aber aus einem anderen Grunde. Denn er nimmt an, der Körper sei im Sechstagewerke nicht dem thatsächlichen Sein nach gebildet worden, sondern nur dem Vermögen nach, insofern die Ursachen in den Stoff niedergelegt wurden, welche für die Bildung des Körpers erfordert waren. Das aber kann von der Seele nicht gelten, die weder aus vorliegendem Stoffe gemacht ist noch von kreatürlichen Ursachen. Und deshalb sagt Augustin, die Seele sei im Sechstagewerke zugleich mit den Engeln geschaffen; und habe dann aus eigener Neigung die Bildung und Leitung des Körpers übernommen. Dies sagt Augustin jedoch nicht, als ob er es wie etwas Zweifelloses behauptete; denn so sind seine Worte: „Steht die Autorität der Schrift nicht entgegen und kein auf der Wahrheit beruhender Grund, so kann man wohl glauben, der Körper sei in dieser Weise am sechsten Tage gemacht worden, daß die ihn hervorbringenden Ursachen wie gleichsam ein Samenkorn in den Stoff der Welt gelegt wurden; die Seele aber bereits geschaffen war.“ Das könnte nun bestehen, wenn die Seele eine Gattungsstufe und eine dementsprechende Natur vollkommen in sich einschlösse; sie also nur im Körper wäre wie der Beweger im Beweglichen, wie der Reiter auf dem Pferde. Ist aber die Seele Wesensform im Körper und somit an sich nur ein Teil der menschlichen Natur; so ist dies ganz unmöglich. Denn Gott hat die ersten Dinge im vollendeten Zustande ihrer Natur hervorgebracht, je nachdem die betreffende Gattung es verlangte; sollten doch diese ersten Dinge die späteren erzeugen. Die Seele aber hat als Teil der menschlichen Natur nicht die Vollkommenheit ihrer Natur, außer insoweit sie mit dem Körper vereint ist. Also konnte sie nicht für sich allein ohne den Körper geschaffen werden. Bei der Meinung Augustins nun über das Sechstagewerk kann gesagt werden, die menschliche Seele sei vorhergegangen in der Erschaffung gemäß einer gewissen Ähnlichkeit in der Seins-„Art“; insofern sie mit den Engeln in der Vernunft übereinkommt; sie selbst aber sei zugleich mit dem Körper geschaffen worden.
c) I. Der Einwurf würde Geltung haben, wenn die Seele die vollendete Natur der Gattung in sich schlösse; so daß sie für sich allein geschaffen würde. Sie ist aber ihrer Natur nach Wesensform des Körpers, also Teil der menschlichen Natur. Also mußte sie zugleich mit dem Körper geschaffen werden. Dasselbe gilt für II. Die Seele gehört, insoweit sie Wesensform ist, ihrer Seins-„Art“ nach zur Art des Sinnbegabten; also kommt sie in der „Art“ mit den Tieren überein. III. Daß die Seele bestehen bleibt getrennt vom Körper, das kommt von etwas Mangelhaftem im Körper; nämlich vom Tode. Dieses Mangelhafte, das Getrenntsein vom Leibe, aber durfte nicht in der Seele im Beginne, bei ihrer Erschaffung sein.
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