Zweiter Artikel. Der Körper des Menschen im Stande der Unschuld war dem Leiden nicht zugänglich.
a) Das Gegenteil folgt aus folgenden Gründen: I. Empfinden ist ein gewisses Leiden oder Bestimmtwerden von außen her. Der Mensch im Paradiese aber konnte empfinden; also konnte er leiden. II. Der Schlaf ist ein Leiden. Der Mensch aber hätte im Urzustande geschlafen; wie aus Gen. 2, 21. hervorgeht: „Gott sandte in Adam Schlaf.“ III. Er konnte auch leiden auf Grund der Hinwegnahme eines Teiles; denn Gott „nahm eine von seinen Rippen“. IV. Der Leib des Menschen war weich und zart. Das Weiche und Zarte aber leidet naturgemäß vom Harten. Auf der anderen Seite würde der Körper im Urzustande vergänglich gewesen sein, wenn er dem Leiden ausgesetzt gewesen wäre. „Denn das Leiden,“ sagt Aristoteles, „entfernt, öfter wiederholt, immer etwas mehr von der leidensfähigen Substanz.“
b) Ich antworte, der Ausdruck „Leiden“ habe eine doppelte Bedeutung: Einmal schließt er in sich ein, daß etwas von seiner naturgemäßen Lage und Einrichtung entfernt wird; wie dies im Bereiche der stofflichen Natur geschieht, wo die Gegensätze aufeinander einwirken und voneinander leiden, so daß das eine durch das andere aus seiner naturgemäßen Lage entfernt wird. Und so war der Körper des ersten Menschen nicht dem Leiden ausgesetzt; denn er konnte das Leiden fernhalten sowie auch den Tod, wenn er nicht gesündigt hätte. Dann wird von etwas ausgesagt, es leide, wenn es überhaupt einer Änderung unterliegt oder einer Bestimmung von außen her, trotzdem ein solches Leiden zur Vollendung der Natur gehört; wie das geistige Erkennen und das sinnliche Empfinden. Und nach dieser Auffassung war der Mensch sowohl der Seele wie dem Körper nach dem Leiden, d. h. dem Bestimmtwerden oder dem Ginflusse von außen her ausgesetzt.
c) I. und II. Schlafen und Empfinden entfernen den Menschen nicht von seiner natürlichen Lage. Jene Rippe gehörte nicht zur Vollendung Adams als einer einzelnen Person; sondern sie gehörte ihm an als dem Princip des Menschengeschlechts, ähnlich wie der Samen im Menschen ist, insoweit letzterer Princip ist durch die Zeugung. III. Der Körper Adams konnte 1. durch die eigene Vernunft davor bewahrt bleiben, daß er keine Verletzung erhielt von etwas Hartem, denn er konnte Schädliches vermeiden; 2. konnte er beschützt werden durch die göttliche Vorsehung, die ihn behütete, daß ihm nichts begegnete, was ihn verletzen konnte.
