Zweiter Artikel. Kein Engel kann den Willen des anderen bewegen.
a) Dies scheint doch der Fall zu sein. Denn: I. Nach Dionysius reinigt, erleuchtet und vollendet der eine Engel den anderen. Reinigen und vollenden aber geht auf den Willen. Denn gereinigt wird jemand vom Schmutze der Schuld, die im Willen ihren Sitz hat; und vollendet wird er durch die Erreichung des Zweckes, der wiederum Gegenstand des Willens ist. II. Nach Dionysius bezeichnen die Namen der Engel deren Eigentümlichleiten. Seraphim aber heißt „entzündende“; was zum Willen gehört, denn die Liebe ist im Willen. Also bewegt ein Engel den Willen des anderen. III. Aristoteles (3. de anima) sagt: „Das höhere Begehrungsvermögen bewegt das niedrigere.“ Wie aber die Vernunft des einen Engels höher ist wie die des anderen, so auch das Begehrungsvermögen. Auf der anderen Seite ist „den Willen verändern“ ebensoviel als „ihn rechtfertigen“; denn die Gerechtigkeit ist die Geradheit des Willens. Gott allein aber gehört es zu, zu rechtfertigen. Ein Engel also kann nicht den Willen des anderen bewegen oder verändern.
b) Ich antworte: Der Wille wird 1. bewegt von seiten des Gegenstandes; und 2. von seiten des Vermögens selber. 1. Von seiten des Gegenstandes nun bewegt den Willen sowohl das Gute selber, was Willensgegenstand ist, wie das Begehrenswerte in Thätigkeit setzt das begehrende Vermögen; als auch derjenige, welcher den Gegenstand vorstellt und zeigt. Nun können alle anderen Güter den Willen in etwa hinneigen; aber genügender- und wirksamerweise (vgl. oben) kann nur das allgemeine, allumfassende Gut, Gott nämlich, den Willen bewegen. Und dieses allumfassende Gut zeigt einzig und allein Gott selber, damit Er nämlich kraft seines Wesens von den Seligen gesehen werde; wie Exod. 33, 18. es heißt von seiten Moses: „Zeige mir Deine Herrlichkeit,“ und ihm geantwortet wird: „Ich will dir alles Gute zeigen.“ Der Engel also bewegt nicht in genügender und wirksamer Weise den Willen; weder als ein Gegenstand noch als einer, der den Gegenstand zeigt. Vielmehr neigt er den Willen einigermaßen hin als ein gewisses liebwertes Gut und er stellt ihm vor manche geschaffene Güter in ihrer Beziehung zu Gott. Auf solche Weise also kann er zur Liebe Gottes oder zur Liebe der Kreatur überreden. 2. Von seiten des Willensvermögens aber kann ein anderer in keiner Weise seine bewegende Kraft auf den Willen in wirksamer Weise richten wie Gott allein. Denn die Thätigkeit des Willens ist ein Hinneigen des Wollenden zum Gewollten. Diese Hinneigung aber kann nur Jener ändern, welcher der Kreatur die Willenskraft gegeben; sowie auch die naturnotwendige Hinneigung eines Dinges Jener allein verändern kann, der die Kraft gegeben, welcher diese Hinneigung innewohnt. Gott allein aber giebt der Kreatur die Willenskraft; denn Er allein ist der Urheber der vernünftigen Kreatur. Ein Engel also kann den Willen des anderen nicht bewegen.
c) I. Nach der Art und Weise des Erleuchtens ist auch zu beurteilen die Art und Weise des Reinigens und Vollendens. Und weil Gott erleuchtet dadurch, daß Er Vernunft und Willen beeinflußt oder verändert, so reinigt Er auch von den Mängeln der Vernunft und des Willens und vollendet für den letzten Endzweck Vernunft und Willen. Das Erleuchten seitens der Engel aber bezieht sich nur auf die Vernunft. Und deshalb reinigen die Engel nur von den Mängeln der Vernunft, nämlich von der Unwissenheit; und vollenden für den Endzweck der Vernunft, nämlich für die Erkenntnis der Wahrheit. So sagt deshalb Dionysius (6. coel. hier.): „Bei den himmlischen Substanzen heißt Reinigung die Entfernung der Finsternisse der Unkenntnis und Vollendung die Anleitung zu vollkommener Kenntnis.“ So wird das leibliche Auge auch gereinigt, wenn das Dunkel sich lichtet. Es wird erleuchtet durch den Einfluß des Lichtes. Es wird vollendet durch den Anblick des Farbigen. II. Der eine Engel kann den anderen zur Liebe Gottes führen, wie dies etwa vermittelst der Überredung gefchieht. III. Aristoteles spricht vom sinnlichen und vernünftigen Begehren in ein und derselben Seele. Davon ist aber bei den Engeln keine Rede.
