Dritter Artikel. Der niedrigere Engel kann nicht den höheren erleuchten.
a) Dagegen spricht: I. Die Kirche leitet sich vom himmlischen Jerusalem ab, „das unsere Mutter ist“ (Gal. 3.), und ist dem himmlischen Jerusalem, d. h. dem Engelreiche ähnlich. In der Kirche aber werden die Vorsteher auch von seiten der Untergebenen erleuchtet und belehrt; wie Paulus sagt (1. Kor. 14.): „Ihr könnt alle, ein jeder nämlich, prophezeien, damit alle lernen und alle ermahnen.“ Also ist dies auch bei den Engeln der Fall. II. Die Körperwelt hängt von dem Willen Gottes ebenso ab, wie die Geisterwelt. In der ersteren aber macht Gott Manches außerhalb der natürlichen Ordnung. Also kann Er auch in der Geisterwelt die niedrigen Geister ohne Vermittlung von seiten der höheren erleuchten; und diese werden dann, von Gott selber erleuchtet, den höheren ihr Licht mitteilen. III. Der eine Engel erleuchtet den anderen dadurch, daß er sich zu diesem wendet. Da aber dieses Sich-Zuwenden freiwillig ist, so kann der höchste Engel mit Übergehung der Zwischenreihen sich zu dem am tiefsten stehenden wenden; und dieser würde dann die höher als er stehenden erleuchten können. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (5. coel. hier.): „Dies ist das Gesetz der Gottheit, welches unverrückbar feststeht, daß nämlich das Niedrigere zu Gott geführt wird vermittelst des Höheren.“
b) Ich antworte, die niedrigeren Engel werden immer erleuchtet von den höheren; letztere nie von den niedrigeren. Und der Grund davon ist, daß eine Ursache unter der anderen steht und eine Seinsordnung im Bereiche der anderen enthalten ist. Wie also die eine Ursache zur anderen in Beziehung steht, so die eine Ordnung im Sein zu der anderen. Und deshalb ist es nicht unzulässig, wenn bisweilen etwas geschieht außerhalb des Bereiches und der Ordnung der niederen Ursache, dabei aber es zur höheren in Beziehung tritt; wie in den menschlichen Dingen das Gebot des Stadtoberhauptes beiseite gelassen werden kann, damit man dem Fürsten des ganzen Staates gehorche. Deshalb also geschieht es, daß bisweilen Gott außerhalb des Bereiches der körperlichen Naturordnung etwas in Weise eines Wunders wirkt, damit Er die Menschen auf Sich selber beziehe, zu seiner Erkenntnis hinlenke. Das Beiseitelassen der naturgemäßen Ordnung aber, so wie sie den geistigen Substanzen gebührt, gehört in keiner Weise dazu, die Menschen zu Gott hinzulenken; da uns die Art und Weise der engelhaften Thätigkeit nicht wie die Thätigkeit der sichtbaren Dinge bekannt ist. Deshalb also wird die Ordnung, wie sie den geistigen Substanzen gebührt, nie von Gott außer acht gelassen und die niederen werden immer durch die höheren bewegt, nicht aber umgekehrt.
c) I. In etwa ahmt die kirchliche Hierarchie die himmlische nach; nicht aber vollkommen. Denn in der letzteren ist der ganze maßgebende Grund für die betreffende Ordnung in den Geistern die Nähe in Beziehung auf Gott. Und deshalb sind die Gott näherstehenden Geister sowohl auf einer höheren Stufe des Seins als auch im Wissen vollendeter, so daß niemals die höheren Geister von den niedrigeren erleuchtet werden können. In der kirchlichen Rangordnung aber sind bisweilen die in Heiligkeit Gott näher Stehenden auf der niedrigsten Stufe und ragen durch Wissen keineswegs hervor; und andere stehen höher in einem Punkte des Wissens, nicht aber in einem anderen. Und deshalb können da die höher Stehenden von denen auf einer tieferen Stufe belehrt werden. II. Daß Gott im Bereiche des Körperlichen Manches thut, was außerhalb der natürlichen Ordnung steht, hat seinen besonderen Grund, wie oben gesagt worden. III. Freilich wendet sich der Engel immer kraft seines Willens zum anderen Engel, um ihn zu erleuchten. Aber dieser Wille ist durch das Gesetz Gottes geregelt, der eine gewisse Ordnung aufgestellt hat.
