Fünfter Artikel. Ein einzelner Mensch kann nicht zugleich einen mehrfachen letzten Endzweck sich vorstecken.
a) Dementgegen scheint zu sein: I. Augustinus (19. de Civ. Dei cap. 1 et 5.), der da sagt: „Manche haben den letzten Endzweck des Menschen in vier Dinge gesetzt: in das Vergnügen, in die Ruhe, in die Güter der Natur, in die Tugend.“ Das sind aber offenbar mehrere Dinge. Also kann ein Mensch in mehreren Dingen seinen letzten Endzweck suchen. II. Was nicht gegenseitig sich gegenübersteht, das schließt sich nicht gegenseitig aus. Viele Dinge aber sind einander nicht entgegengesetzt. Also wenn das eine als letzter Endzweck des Willens angenommen wird, werden deshalb andere nicht ausgeschlossen. Dadurch daß der Wille seinen letzten Endzweck in etwas sucht, verliert er nicht sein freies Wahlvermögen. Ehe er aber z. B. im Vergnügen seinen letzten Endzweck fand, konnte er sich ein anderes Ding als letzten Endzweck wählen, z. B. den Reichtum. Also auch nachdem er seinenletzten Endzweck im Vergnügen feststellte, kann er zugleich den Reichtum dazu machen. Auf der anderen Seite beherrscht Jenes, worin der Mensch ausruht wie in seinem letzten Endzwecke, die ganze Neigung des Menschen; denn von da her nimmt er die Richtschnur seiner ganzen Lebensweise. Deshalb sagt der Apostel (Phil. 3.) die Worte: „deren Gott der Bauch ist,“ von denen, welche ihren letzten Endzweck in den Ergötzlichkeiten des Bauches finden. Matth. 6, 24. aber heißt es: „Niemand kann zwei Herren dienen,“ die nämlich voneinander unabhängig sind und in keinem gegenseitigen Verhältnisse stehen. Also unmöglich kann jemand mehrere Dinge als letzten Endzweck betrachten, von denen keines zum anderen in Beziehung steht.
b) Ich antworte, daß der Wille unmöglich in mehreren Dingen zugleich seinen letzten Endzweck suchen kann. Davon geben wir folgende Gründe an. 1. Da jegliches Ding seine Vollendung erstrebt, so will jemand das als seinen letzten Zweck, wonach er verlangt als nach dem Gute, welches ihn selber vollendet und allseitig glücklich macht. Deshalb sagt Augustin (19 de Civ. Dei c. 1): „Endzweck des Guten sgen wir jetzt; nicht als ob es verehrt würde, daß es nicht sei, sondern weil es vollendet wird, daß es volständig sei.“ So also muß der letzte Endzeck die Begehrkraft des Menschen füllen, daß nichts außer ihm als begehrrenswert übrig bleibe. Das kann aber nicht sein, wenn außer diesem Endzwecke noch etwas demselben Äußerliches zur Vollendung des Menschem erforderdert würde. Also kann das Begehren nicht auf zwei Güter so sich richten, daß ein jedes von beiden das vollkommene Gut des Menschen sei. 2. Wie im Vorgehen der Vernunft Princip jenes ist, was kraft der Natur von vornherein und vor allem Andern erkannt wird, so muß im Vorgehen des vernünftigen Begehrens, also des Willens, Princip jenes sein, was kraft der Natur erstrebt wird. Das kann aber nur ein einiges Gut sein, denn die Natur als solche strebt nur immer nach Einem. Da nun also im Vorgehen des Willens der letzte Endzweck Princip ist, so kann derWille nur einen letzten Endzweck sich vorstecken. 3. Da die freien Akte aus dem Zwecke die Wesensgattung entnehmen, so müssen sie vom letzten Endzwecke, der ja gemeinsam ist, die „Art“ entnehmen; wie ja auch im Bereiche der Natur die Dinge innerhalb ihrer „Art“ sind gemäß dem den betreffenden Gattungen Gemeinsamen; so ist „sinnbegabt“, das nämlich was der Mensch mit dem Tiere gemeinsam hat, die „Art“ in der Begriffsbestimmung des Menschen. Da nun also alle für den Willen begehrenswerten Dinge insoweit ein und derselben „Art“, nämlich begehrenswert, sind, so darf es auch nur einen letzten Endzweck geben; zumal hier noch hinzukommt, daß in einer jeden Art nur ein erstes Princip ist, der letzte Endzweck aber den Charakter des ersten Princips hat. Wie sich aber der letzte Endzweck des Menschen überhaupt zum ganzen Menschengeschlechte verhält, so verhält sich der letzte Endzweck dieses einzelnen Menschen zu diesem einzelnen Menschen. Da also für alle Menschen der Natur nach nur ein letzter Endzweck besteht, so kann der Wille dieses einzelnen Menschen auch nur einen letzten Endzweck, d. h. nur ein Gut als letzten Endzweck sich vorstecken.
c) I. Alle jene Dinge wurden von diesen Philosophen als zusammen ein einziges vollkommenes Gut bildend aufgefaßt und so als letzter Zweck hingestellt. II. Dem vollkommenen Gute steht es entgegen, daß es außer ihm noch etwas Anderes gebe, was den betreffenden Willen vollenden könnte. III. Die Freiheit im Menschen kann nicht machen, daß zwei wie Ja und Nein sich gegenüberstehende Dinge zugleich sind.
