Fünfter Artikel. Die geschaffene Vernunft bedarf behufs der Anschauung Gottes eines sie stärkenden geschaffenen Lichtes.
a) Gegen diese Annahme scheint bereits die Erfahrung zu sprechen. Denn: I. Um das, was an sich unter diesen sichtbaren Dingen leuchtend ist, zu sehen, bedarf es keines besonderen verschiedenen Lichtes für das Auge. Das muß auch für das vernünftig geistige Gebiet gelten. Gott aber ist an und durch sich leuchtend. Also bedarf es, um Ihn zu schauen, keines besonderen weiteren Lichtes für die geschaffene Vernunft. II. Auch scheint das im Titel Behauptete den vorhergesagten Ergebnissen zu widersprechen. Denn wird Gott durch Vermittlung von etwas anderem Geschöpflichen geschaut, so wird sein Wesen nicht geschaut. Es heißt aber Gott vermittelst etwas Geschöpflichem schauen, wenn Er vermittelst eines eigens dazu bewirkten Lichtes geschaut wird. Also wird Er in diesem Falle nicht dem Wesen nach geschaut. III. Was geschaffen ist, kann für eine Kreatur auch natürlich sein. Wird also das göttliche Wesen vermittelst eines geschaffenen Lichtes gesehen, so besteht dafür kein Hindernis, daß dieses letztere für eine andere Kreatur natürlich ist. Diese Kreatur würde dann keines weiteren Lichtes bedürfen, um Gott zu schauen. Es bestände somit eine Kreatur, die ohne ein solches ihr hinzugefügtes Licht auf natürliche Weise Gott schauen würde. Auf der anderen Seite sagt der Psalmist: „In Deinem Lichte werden wir das Licht sehen.“ (Ps. 35, 10.)
b) Ich antworte, daß jegliches Sein, welches zu etwas erhoben wird, was seine Natur übersteigt, dazu durch einen Zustand vorbereitet werden muß, der über seine Natur erhaben ist, damit nämlich die Erhebung ihm wirklich zu eigen werde und nicht rein von außen her kommend etwas Gezwungenes sei; wie z. B. die Luft, wenn sie die Form des Feuers erhalten soll, zuerst durch die Wärme dazu vorbereitet wird, damit dieser Übergang etwas Natürliches sei und nicht den Charakter des Gezwungenen habe. Wenn nun aher eine geschaffene Vernunft das göttliche Wesen schaut, so wird dieses Wesen selbst der innere das Erkennen bewirkende Grund in der Vernunft; es tritt gleichsam an die Stelle der inneren Erkenntnisform oder Idee in die Vernunft. Es muß also ein über die Natur erhabener Zustand erst der Vernunft hinzugefügt werden dafür, daß sie zu solcher Erhabenheit erhöht werde und daß nun der Erkenntnisakt ein der geschöpflichen Vernunft wirklich eigener, von allem äußeren Zwange entfernter sei. Da nun aber die natürliche Kraft der geschaffenen Vernunft nicht genügt, um Gott zu schauen, so muß durch die Gnade Gottes die Erkenntniskraft vermehrt werden. Und diese Vermehrung der Erkenntniskraft wird Erleuchtung genannt, wie wir auch das Erkennbare selber, den Gegenstand dieser Kraft, als Licht bezeichnen. Und von diesem Lichte sagt die Apokalypse (21, 23.): „Die Helle Gottes wird sie beleuchten,“ nämlich die Seligen. Und wiederum werden gemäß diesem Lichte die Seligen gottähnlich; d. h. die Form oder der unmittelbar maßgebende Grund ihres Erkennens ist der nämliche wie in Gott, die Natur Gottes: „Wenn Er erscheinen wird, werden wir Ihm ähnlich sein; und wir werden Ihn sehen, wie Er ist.“
c) Der erste Einwurf verwechselt die Vermittlung, welche vom Gegenstande ausgeht und durch welche, wie z. B. durch die Idee „Mensch“ das an sich Unerkennbare, wie der einzelne Mensch z. B., für die geistig vernünftige Erkenntnis erkennbar wird, mit jener Vermittlung, welche das Vermögen kräftigt und es geeignet macht für das Erkennen. Die erste Art der Vermittlung besteht nicht bei der Anschauung Gottes; denn Gottes Wesen ist an sich erkennbar, es braucht nicht erst erkennbar gemacht zu werden; — wohl aber die zweite. So bedarf auch das körperliche Auge des Lichtes, damit, was zwischen dem sichtbaren Gegenstande und dem Auge liegt, durchleuchtend sei und auf Grund dessen von der Farbe her bestimmt werde. II. Dasselbe gilt als Antwort auf den zweiten Einwurf. Nicht eine Ähnlichkeit von seiten Gottes, eine Ähnlichkeit des göttlichen Wesens wird erfordert, damit letzteres darin gesehen werde; sondern eine Vollendung des Erkenntnisvermögens. Dieses lumen gloriae ist nicht sosehr ein Licht in welchem wie etwa in einem Mittelwesen Gott gesehen wird, als vielmehr ein Vorzug, auf Grund dessen Gott Gegenstand des Schauens ist; wie etwa auch das körperliche Licht nicht das Bild des Gegenstandes in sich enthält und dem Auge darbietet; sondern vielmehr wird der Gegenstand als solcher unmittelbar gesehen, jedoch auf Grund des Lichtes vom Auge aus. III. Der vorbereitende Zustand, um Feuer zu werden, die Wärme also, kann für kein anderes Sein als natürlich gelten aIs für jenes, welches die Form des Feuers hat, also Feuer ist. Sonach kann „das Licht der Herrlichkeit“ nur jenem Sein Natur sein, welches seinem Wesen nach Herrlichkeit ist. Denn kraft dieses „Lichtes“ wird eben die vernünftige Kreatur Gott, d. h. dem Wesen Gottes ähnlich.
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