Erster Artikel. In den menschlichen Wandlungen findet sich etwas freiwilliges.
a) Dementgegen wird geltend gemacht: I. Freiwillig wird eine Thätigkeit deshalb genannt, weil sie ihr Princip innerhalb ihrer selbst hat, wie Damascenus sagt (2. de orth. fide 24.) und Aristoteles (3 Ethic. 1.). Das Princip der menschlichen Thätigkeit aber ist nicht innerhalb derselben, sondern außen; denn das Begehrungsvermögen wird in Thätigkeit gesetzt von dem begehrenswerten Gegenstande, der außen sich vorfindet. II. Aristoteles (8 Physic.) beweist, daß in den sinnbegabten Wesew kein von neuem beginnender Akt gefunden wird, dem nicht zuvorkäme ein von außen her bewegender Einfluß. Alle menschlichen Handlungen aber sind solche, die von neuem beginnen, denn keine ist von Ewigkeit. Also alle menschlichen Handlungen haben ihr bestimmendes Princip außen und somit findet sich in ihnen nichts Freiwilliges. III. Wer freiwillig thätig ist, besitzt dementsprechende Selbständigkeit. Der Mensch aber hat keine solche Selbständigkeit, denn Joh. 15. sagt der Herr: „Ohne Mich könnt ihr nichts thun?“ Auf der anderen Seite schreibt Damascenus (2. de orth. fide 24.): „Freiwillig ist ein Akt, der dem vernünftigen Wirken angehört.“ Derartige aber sind die menschlichen Akte. Also findet sich in ihnen Freiwilliges.
b) Ich antworte, in den menschlichen Handlungen finde sich Freiwilliges. Zur Klarstellung dessen muß man berücksichtigen, daß von gewissen Thätigkeiten oder Bewegungen das bestimmende Princip innerhalb jenes Wesens sich findet, das da thätig oder in Bewegung ist; von anderen Thätigkeiten und Bewegungen aber ist dieses Princip außerhalb des Thätigen oder Beweglichen. Wenn z. B. der Stein nach oben hin in Bewegung ist, so steht das bestimmende Princip für diese Bewegung außerhalb des Steines; ist er aber nach unten hin in Bewegung, so findet sich dieses Princip im Steine selber. Von den Dingen aber, welche von einem ihnen innewohnenden Princip ihre Bewegung herleiten, bewegen die einen sich selber, die anderen nicht. Denn da jegliches Wesen, welches wirkt oder bewegt wird, um eines Zweckes willen wirkt oder bewegt wird, wie oben gezeigt worden (Kap. 1, Art. 1), so folgt daraus, daß jene Wesen in vollkommener Weise von einem ihnen innerlichen Princip ihre Bewegung herleiten, in welchen nicht nur dafür ein solches innerliches Princip besteht, daß sie überhaupt in Bewegung sind; sondern auch dafür, daß sie zum Zwecke hin bewegt werden. Dazu aber daß um eines Zweckes willen etwas geschieht, wird erfordert eine etwelche Kenntnis des Zweckes. Was also in der Weise wirkt oder bewegt wird von einem innerlichen Princip, daß es eine etwelche Kenntnis des Zweckes besitzt, das hat in sich selbst nicht nur das Princip seines Wirkens überhaupt, sondern zudem dafür, daß es um eines Zweckes willen wirkt. Was aber keinerlei Kenntnis des Zweckes besitzt, das hat wohl in sich das Princip der Thätigkeit oder der Bewegung; nicht aber hat es dafür das Princip in sich, daß es um eines Zweckes willen wirkt oderin Bewegung ist; dieses Princip ist vielmehr in einem anderen Wesen, von dem aus das Princip seiner Bewegung zum Zwecke hin ihm eingeprägt wird. Derartige Dinge also bewegen keinesfalls sich selbst, sondern von anderen Wesen her werden sie in Bewegung gesetzt; wogegen von jenen Wesen, welche vom Zwecke Kenntnis haben, es heißt, sie bewegen sich selber, weil nämlich in ihnen ein Princip ist nicht nur dafür, daß sie überhaupt thätig sind, sondern zugleich dafür, daß sie um eines Zweckes willen in Thätigkeit sind. Da also Beides von einem innerlichen Princip herkommt; sowohl nämlich, daß diese Wesen thätig sind und auch daß sie um einesZweckes willen thätig sind, deshalb wird ihr Wirken und ihre Bewegung als freiwillig bezeichnet. Denn dies schließt der Ausdruck „freiwillig“ ein, daß die entsprechende Thätigkeit und Bewegung von der eigenen Neigung herrührt, wonach bei Damascenus und Gregor, von Nyssa „freiwillig ist“ nicht nur das, „dessen Princip ein innerliches ist;“ sondern es muß die „Kenntnis“ hinzugefügt werden. Der Mensch nun kennt im höchsten Grade den Zweck seines Werkes und danach bewegt er sich selber. Also findet sich in seiner Thätigkeit im höchsten Grade das Freiwillige.
c) I. Nicht jegliches Princip braucht das erste Princip zu sein. Obgleich also es zur Natur des Freiwilligen gehört, daß sein Princip innerlich sei; so ist es doch nicht gegen diese Natur, daß das innerliche Princip hervorgebracht oder in Thätigkeit gesetzt werde von einem außenstehenden Princip; denn es ist nicht gesagt, daß das innerliche Princip, von dem das Freiwillige sich ableitet, das erste sei. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, daß das Princip für eine Bewegung das erste sein kann im Bereiche einer gewissen Seinsart, ohne daß damit zugleich es allseitig das erste ist. So ist z. B. im Bereiche der stofflichen Veränderlichkeit das erste Princip das Licht der Himmelskörper. Und trotzdem sind letztere nicht in jeder Beziehung an erster Stelle bewegende Kräfte; sondern soweit es auf die bloße Ortsbewegung und nicht auf den das Stoffliche verändernden Einfluß ankommt, werden sie ihrerseits wieder in Bewegung gesetzt von einer bewegenden Ursache höherer Art. In dieser Weise also ist das innerliche Princip der freiwilligen Thätigkeit, nämlich die Erkenntnis mit der Willenskraft, wohl erstes Princip im Bereiche des Begehrens und der daraus folgenden Bewegung; wird aber selbst in Bewegung gesetzt von einem außenstehenden Bewegenden gemäß anderen Arten der Bewegung. II. Der Bewegung des sinnbegabten Wesens kommt mit Rücksicht auf zwei Umstände eine Bewegung von außen her zuvor: einmal in der Weise, daß durch eine Bewegung von außen her etwas sinnlich Wahrnehmbares vorgelegt wird, was kraft der Auffassung die Begehrkraft in Thätigkeit setzt; wie z. B. der Löwe, welcher den herbeilaufenden Hirsch erblickt, anfängt, sich zu diesem hinzubewegen. Dann insoweit vermittelst des Einflusses einer Bewegung von außen her die natürliche Verfassung des Körpers verändert wird, z. B. durch die Kälte oder die Hitze; denn unter einer solchen Veränderung der Verfassung des Körpers leidet auch das sinnliche Begehren nach der Seite hin, daß es von Natur wesentlich an das körperliche Organ gebunden ist. So wird infolge der Veränderung der körperlichen Verfassung nicht selten der Sinn erregt, um eine Sache zu begehren. Das ist aber nicht gegen die Natur des Freiwilligen; denn derartige Bewegungen von einem äußeren Princip her sind anderer Art als das Begehren gemäß dem Erkennen. III. Gott bestimmt und bewegt den Menschen zum Thätigsein; nicht nur wie jemand, der dem Sinne etwas Begehrenswertes vorstellt oder wie etwas, wovon der Körper in seiner Verfassung geändert wird, sondern Er setzt den Willen selber in Bewegung; denn jede Bewegung, mag sie vom Willen ausgehen oder in der Natur ihren Sitz haben, geht von Gott aus als dem Erstbewegenden und der ersten wirkenden Ursache. Und wie es deshalb nicht gegen das Wesen der Natur in einem Dinge ist, daß die von der Natur ausgehende Bewegung von Gott als dem Erstbewegenden sei, insoweit die Natur ein Werkzeug ist in der Hand Gottes, der an erster Stelle bewegt; so ist dies auch nicht gegen das Wesen der freiwilligen Thätigkeit, daß sie von Gott als dem erstwirkenden Grunde herrühre, insoweit nämlich der Wille von Gott bewegt wird. Damit bleibt bestehen, daß es zum Wesen der natürlichen und freiwilligen Bewegung gehört, von einem innerlichen Princip herzurühren.
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