Zweiter Artikel. Das freiwillige in den Tieren.
a) Es scheint, in den Tieren gäbe es nichts Freiwilliges. Denn: I. Freiwillig heißt so wegen des Willens. In den Tieren giebt es aber keinen Willen, wie Aristoteles (II. de anima) sagt. II. Weil die menschlichen Handlungen freiwillig sind, ist der Mensch Herr seiner Thätigkeit. Die Tiere aber sind nicht Meister ihrer selbst; denn „nicht sowohl sind sie thätig, als sie in Thätigkeit gesetzt werden“, sagt Damascenus. (II. de orth. fide 27.) III. Derselbe schreibt (l. c. 24.): „Je nachdem das Wirken ein freiwilliges ist, wird es von Lob oder Tadel begleitet.“ Weder Lob noch Tadel aber begleitet die Thätigkeiten der Tiere. Also ist in ihnen nichts Freiwilliges. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (3 Ethic. c. 1.): „Die Kinder und Tiere haben Anteil am Freiwilligen;“ und ebenso erklären Gregor von Nyssa und Damascenus.
b) Ich antworte; zum Wesen des Freiwilligen gehört es, daß das Princip der Thätigkeit innerlich sei mit einer etwelchen Kenntnis des Zweckes. Eine solche Kenntnis aber ist entweder eine vollkommene oder eine unvollkommene. Sie ist vollkommen, wenn nicht nur die Sache erkannt wird, welche als Zweck dasteht; sondern auch der Grund, weshalb sie als Zweck dasteht und das Verhältnis dieses Zweckes zu dem, was zweckdienlich ist. Eine solche Kenntnis nun kommt nur der vernünftigen Natur zu. Unvollkommen ist die Kenntnis des Zweckes dann, wenn sie einzig und allein in der Auffassung der Sache besteht, die Zweck ist; nicht sich aber darauf erstreckt, daß der Grund und die Natur des Zweckes als solche erkannt wird, und ebensowenig auf das Verhältnis des Mittels zum Zwecke. Eine solche Kenntnis des Zweckes wird in den Tieren gefunden, weil sie sinnliche Auffassung haben und kraft ihrer Natur eine gewisse Abschätzungskraft für das, was ihnen dienlich oder nicht dienlich ist. Die vollkommene Kenntnis des Zweckes nun wird begleitet vom Freiwilligen, soweit dies vollendet in seiner Natur ist; insofern nämlich Jemand, nachdem er den Zweck aufgefaßt, über den Zweck und das, was zudessen Erreichung dient, nachdenken und so sich zum Zwecke hinbewegen kann oder auch nicht. Die unvollkommene Kenntnis des Zweckes aber ist begleitet vom Freiwilligen, soweit dies unvollendet ist in seiner Natur; insofern nämlich das betreffende Wesen den Zweck auffaßt, aber nicht nachdenkt, sondern sogleich auf einmal sich darauf hinbewegt. Das vollkommen Freiwillige also gebührt nur der vernünftigen Natur, das unvollkommen Freiwillige auch den Tieren.
c) I. Der „Wille“ bezeichnet das vernünftige Begehren und kann somit in vernunftlosen Wesen nicht bestehen. „Freiwillig“ aber ist ein Ausdruck, der vom Ausdrucke „Wille“ sich nur ableitet und angewendet werden kann auf jene Wesen, in denen gemäß einer Ähnlichkeit mit dem Willen eine gewisse Teilnahme an demselben vorhanden ist. Er bedeutet nichts Anderes, als daß die Tiere gewisse Dinge gern, vom Innern ihrer Natur selber heraus, ohne Zwang von außen thun; und daß sie gemäß einiger Kenntnis zum Zwecke hin sich richten. II. Der Mensch ist Herr seiner Handlungen, weil er nachdenken kann über dieselben. Deshalb nämlich weil die nachdenkende Vernunft das Für und Wider abwägt, kann sich der Wille für das eine oder das andere entscheiden, ist also an sich gleichgültig gegen die Teile eines Gegensatzes. Dem entspricht aber nicht das Freiwillige, wie es in den Tieren sich findet. III. Lob und Tadel folgt der freiwilligen Thätigkeit, insoweit das Freiwillige vollkommen ist und nicht wie in den Tieren unvollkommen.
