Achter Artikel. Gott anschauen hat nicht zur Folge, daß alles, was in Gott ist, gesehen wird.
a) Dagegen scheint Gregor der Große zu sprechen: Denn er sagt (4. diaI. cap. 33.): I. „Was sollten jene nicht sehen, welche denjenigen schauen, der alles sieht.“ Gott aber sieht alles. Also muß jener, der Gott sieht, alles sehen. II. Wer in einen Spiegel schaut, sieht alles, was darin wiederstrahlt. Alles aber, was ist und sein kann, glänzt in Gott wie in einem Spiegel, da Gott alles in Sich selber sieht. Wer also Gott sieht, der sieht Alles, was geschieht und was geschehen kann. III. Wer das versteht, was höher und größer ist; der versteht auch, was niedriger und leichter ist. Alles aber, was Gott wirkt, ist niedriger, wie Er selber, wie sein Wesen. Also wer Gott schaut, der schaut auch das, was weniger als Gott ist. IV. Die vernünftige Kreatur verlangt ihrer Natur nach, alles zu wissen. Erkennt sie also, Gott schauend, nicht alles, so wird ihr natürliches Verlangen nicht beruhigt. Sie wird also in diesem Falle nicht selig sein. Auf der anderen Seite schauen die Engel das Wesen Gottes und wissen doch nicht alles. Denn „die niedrigeren Engel werden nach Dionysius „vermittelst der höheren gereinigt von ihrem Mangel an Wissen“ (7. de coel. hier.). Sie wissen nicht die freien Handlungen der Zukunft und ebenso nicht die Gedanken des innersten Herzens; denn das ist Gott allein eigen. Also schauen die Seligen nicht alles.
b) Ich antworte, daß die geschaffene Vernunft, trotzdem sie das Wesen Gottes schaut, nicht alles sieht, was Gott thut und thun kann. Denn es ist offenbar, daß etwas in Gott nur so gesehen wird, wie es in Gott ist. Alle Dinge aber sind in Gott nie die Wirkungen in der Ursache. Da ist nun weiter offenbar, daß je vollkommener eine Ursache gesehen wird, desto mehr Wirkungen als von ihrer Kraft ausgehend geschaut werden können. Denn wer eine hohe Vernunft besitzt, der sieht, kaum daß ein beweisendes Princip vorgestellt worden, als Folgen aus ihm sogleich eine Menge von Wahrheiten. Dessen Vernunft aber einen schwächeren Grad besitzt, der bedarf eines anderen, eines Lehrers, welcher ihm diese Wahrheiten einzeln hinstellt und eigens auf das eine leitende Beweisprincip zurückführt. Jene Vernunft also erkennt notwendig ganz und gar alle in der Kraft der Ursache enthaltenen Wirkungen, welche diese Ursache vollständig erschöpfend durchdringt und umschließt. Dies kann aber rücksichtlich Gottes von keiner geschaffenen Vernunft gesagt werden. Keine geschaffene Vernunft also sieht in Gott alles, was Er thut oder thun kann; denn das hieße die unendliche Kraft des göttlichen Wesens umschließen und begreifen. Vielmehr erkennt jede Vernunft um so viel mehr Dinge in Gott als sie mit mehr oder minder großer Vollendung sein Wesen schaut. I. Gregor will bloß sagen, daß Gottes Wesen von sich allein aus genügend ist, um alles zu zeigen. Daraus folgt aber nicht, daß jede Vernunft nun auch alles wirklich sieht; denn wenn sie auch Gott schaut, sie begreift Ihn doch nicht. II.Damit daß jemand in einen Spiegel schaut, ist nicht notwendig gegeben, daß er nun auch alles schaut, was der Spiegel wiebergiebt; es sei denn, daß er den Spiegel vollkommen mit seinem Blicke umschließt. III.Jedenfalls ist es höher und größer, Gott zu schauen wie alles Andere zu erkennen. Aber danach wird hier nicht gefragt. Vielmehr ist der Satz so zu fassen: Es ist schöner und größer, Gott zu sehen und alles, was in Ihm Erkennbares sich findet; wie Gott zu sehen und nicht alles Andere in Ihm zu sehen, sondern nur weniges. IV.Das natürliche Verlangen der vernünftigen Kreatur richtet sich darauf, alles zu wissen, was zur Vollendung der Vernunft gehört; und das sind die Arten und Gattungen der Dinge und ihre inneren maßgebenden Formalgründe. Dies aber wird jeder Selige kraft des göttlichen Wesens und in demselben sehen. Zu erkennen aber alle möglichen Einzelheiten, die sich ereignen oder sich ereignen können, und zu wissen alles, was man denkt und thut; das gehört nicht zur Vollendung der Vernunft und daraufhin richtet sich nicht ihr natürliches Verlangen. Und doch wenn auch Gott nur für sich allein gesehen würde als Quelle und Princip alles Seins und aller Wahrheit, so würde Er das natürliche Verlangen nach dem Wissen so sehr anfüllen, daß man nichts Anderes suchen und selig sein würde. Deshalb sagt Augustin (5. conf. 3.): „Unglücklich der Mensch, der alles Geschaffene weiß und Dich nicht weiß! Selig aber, der Dich weiß, mag er auch jenes nicht wissen! Wer aber Dich kennt und auch jenes, der ist deshalb nicht seliger; sondern er ist wegen Deiner allein selig.“
