Vierter Artikel. Der Willensakt vollzieht sich nicht mit Notwendigkeit, sondern frei unter der bestimmenden und bewegenden Kraft Gottes.
a) Die Bewegung des Willens von seiten Gottes scheint Notwendigkeit im Thätigsein des Willens zur Folge zu haben. Denn: I. Gott kann kein Widerstand geleistet werden nach Röm. 9, 19.: „Wer widersteht seinem Willen.“ Wo aber kein Widerstand gegen einen wirksamen Einfluß möglich ist, da kann auch keine Freiheit bestehen. II. Der Wille richtet sich mit Notwendigkeit auf das, was er kraft seiner Natur will; wie oben gesagt worden. Das ist aber jedem Wesen natürlich, daß Gott in ihm wirkt, wie Augustin sagt. (26. contra Faustum. c. 3.) III. Möglich ist nur das, unter dessen Voraussetzung und Annahme nichts Unmögliches folgt. Unmöglich aber ist, daß, wenn vorausgesetzt wird, Gott bewege den Willen, der letztere nicht wolle; weil danach das Einwirken Gottes unwirksam wäre. Also ist es nicht möglich, daß der Wille das nicht wolle, wozu Gott ihn hinbewegt. Also ist das Gegenteil notwendig. Auf der anderen Seite heißt es Ekkli. 15.: „Gott bildete im Anfange den Menschen und ließ ihn in der Gewalt seines Ratschlusses.“ Also Gottes bewegende Kraft hat mit Rücksicht auf den Willen keinerlei Notwendigkeit zur Folge.
b) Ich antworte, daß nach Dionysius (4. de div. nom.) der göttlichen Vorsehung es eigen ist, die Naturen der Dinge zu bewahren; nicht, sie zu verderben. Alle Wesen setzt sie deshalb in Thätigkeit je nach deren natürlichen Verhältnissen. Und somit folgt aus Ursachen, die mit Notwendigkeit wirken, der von Gott ausgehenden Bethätigung zufolge die Wirkung mit Notwendigkeit; aus frei wirkenden Ursachen aber folgt freie Thätigkeit. Weil nun der Wille ein wirksames Princip ist, das nicht nach einer genau bestimmten Richtung hin immer die gleiche Wirkung zur Folge hat, sondern von sich aus gleichgültig vielen Arten von Wirkungen gegenübersteht, so daß er etwas oder auch das Gegenteil davon wirken kann; so setzt Gott den Willen in der Weise in Bewegung, daß derselbe kraft dieses Einflusses nicht zu einer einzigen Wirkung von vornherein die Bestimmung in sich empfängt, sondern daß seine Bewegung frei und dem Fallen zugänglich, zufällig, bleibt; ausgenommen in den Dingen, zu welchen hin der Wille kraft seiner eigenen Natur bewegt wird.
c) I. Der göttliche Wille hat nicht nur die Kraft, daß vermittelst des Wesens, das er bewegt, etwas überhaupt geschieht; sondern zugleich, daß es in einer Weise geschieht, wie es der Natur des betreffenden Wesens entspricht. Mehr also würde es mit der von Gott ausgehenden Bethätigung oder Bewegung in Widerspruch stehen, wenn der Wille unter diesem Einflüsse mit Notwendigkeit thätig wäre, als wenn er frei wirkte, wie dieses seiner Natur entspricht. II. Jedem Wesen ist dies natürlich, daß Gott in ihm so wirkt, wie es der Natur dieses Wesens zukommt; und das ist ihm natürlich, was Gott will, daß es ihm natürlich sei. Denn gemäß der Weise kommt einem Wesen etwas zu, wie Gott will, daß es ihm zukommt. Gott ist eben der Urheber der Natur. Nicht aber will Gott, daß, was auch immer Er in den Dingen wirkt, dies ihnen natürlich sei; wie z. B. daß die Toten auferstehen. Nach seinem Willen jedoch soll es ihrer Natur entsprechen, daß sie Gottes Macht unterliegen. III. Damit daß Gott den Willen zu etwas hinbewegt, ist es allerdings nicht verträglich; und es steht sonach dieses Beide nicht zusammen, daß der Wille in diesem Falle nicht in Thätigkeit sei. Dies nennt man aber nicht von seiten des Willens von vornherein und ohne Voraussetzung etwas Unmögliches; so daß daraus nicht folgt, der Wille könne nicht anders, er wirke also mit Notwendigkeit; sondern nur, daß der Wille thatsächlich das will und nicht jenes und somit nicht beides zusammen thatsächlich will.
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