Dritter Artikel. Nicht mit Notwendigkeit wird der Wille vom Begehren des niederen sinnlichen Teiles in Thätigkeit gesetzt.
a) Dagegen sagt: I. Der Apostel (Röm. 7.): „Denn nicht das Gute, was ich will, thue ich; sondern das Übel, was ich hasse, das thue ich.“ Dies sagt er aber wegen der sinnlichen Begierlichkeit. Also wird der Wille mit Notwendigkeit von der sinnlichen Leidenschaft in Thätigkeit gesetzt. II.„Wie beschaffen ein jeder ist, so beschaffen erscheint ihm sein Zweck,“ heißt es 3 Ethic. 3. In der Gewalt des Willens aber steht es nicht, daß jemand allsogleich seine Leidenschaft abwirft. Also steht es nicht bei ihm, das nicht zu wollen, wozu die Leidenschaft hinneigt. III. Eine auf das allgemeine gerichtete Ursache lenkt sich auf einebesondere Wirkung nur vermittelst einer besonderen beschränkten Ursache. Demgemäß setzt auch die auf das Allgemeine gerichtete Vernunft nur in Thätigkeit vermittelst einer besonderen beschränkten Auffassung, jener nämlich der wesentlich an das Organ gebundenen ratio particularis. (3. de anima.) Wie sich aber die rein geistige, auf das Allgemeine gerichtete Vernunft verhält zur beschränkten Auffassung der ratio particularis, so verhält sich der Wille zum sinnlichen Begehren. Ist also dieses durch irgend welche Leidenschaft in einer gewissen besonderen Verfassung, so kann der Wille nicht das Gegenteil wollen. Auf der anderen Seite heißt es Gen. 4.: „Unter dir wird dein Begehren sein und du wirst es beherrschen.“ Der Wille ist also frei dem sinnlichen Begehren gegenüber.
b) Ich antworte gemäß dem, was oben gesagt wurde. Die Leidenschaft im sinnlichen Teile hat wirkenden Einfluß auf den Willen vom Gegenstande her; insoweit nämlich jemand, der mit einer solchen Leidenschaft behaftet ist, kraft derselben von einem vorliegenden Gegenstande urteilt, er sei zukömmlich und gut, was er, abgesehen von der Leidenschaft, nicht urteilen würde. Nun geschieht es manchmal, daß die Leidenschaft ganz und gar die Vernunft bindet; so daß der Mensch deren Gebrauch nicht mehr hat, wie z. B. bei den von heftigem Zorne Ergriffenen oder ganz von der Begierde Beherrschten, die wutbefallen oder wahnsinnig werden, oder überhaupt auf Grund von körperlicher Erschütterung; da solche Leidenschaften niemals ohne körperliche Veränderung wirken. Und solche Menschen stehen dann auf der Stufe der Tiere, welche mit Notwendigkeit dem Anstoße der sinnlichen Bewegung folgen. Manchmal aber bleibt trotz der leidenschaftlichen Bewegung das Urteil der Vernunft in etwa frei; und in selbem Maße bleibt der Wille frei. Insofern also das Urteil der Vernunft nicht gebunden ist, bleibt auch die freie Willensbewegung, so daß der Wille nicht mit Notwendigkeit zu dem hinneigt, was die Leidenschaft vorstellt. Entweder also besteht überhaupt Willensbewegung; — und dann ist der Einfluß der Leidenschaft kein notwendiger. Oder es herrscht nur die Leidenschaft; — und dann ist keine Willensbewegung da.
c) I. Der Wille ist nicht imstande, zu hindern, daß die leidenschaftliche Bewegung überhaupt sich bemerklich macht; — und das meint der Apostel. Der Wille kann aber nicht wollen; oder er kann der Begierlichkeit nicht beistimmen. II. Im Menschen sind zwei Naturen: die geistig-vernünftige und die sinnliche. Bisweilen nun ist die „Beschaffenheit“ des Menschen ganz und gar in gleichförmiger Weise gemäß der Seele, wenn nämlich der sinnliche Teil ganz und gar der Vernunft unterworfen ist; wie bei den Tugendhaften oder umgekehrt, wenn die Vernunft unthätig ist, wie bei den Wahnsinnigen. Bisweilen aber ist der Mensch ein „so beschaffener“ nach der Leidenschaft, daß jedoch die Vernunft in etwa frei bleibt, wenn sie auch gewissermaßen verdunkelt ist. In diesem Falle kann jemand die Leidenschaft ganz und gar nicht wollen, sie zurückweisen oder er kann ihr nicht folgen. Denn es scheint ihm dann der betreffende Gegenstand anders nach der Leidenschaft und anders nach der Vernunft. III. Der Wille wird bethätigt nicht nur durch das von der Vernunft aufgefaßte Allgemeine im Bereiche des Guten, sondern auch durch das vom Sinne aufgefaßte besondere Gut. Also kann er bewegt werden zu einembesonderen beschränkten Gute auch ohne die Leidenschaft des sinnlichen Begehrens. Denn Vieles wollen und wirken wir ohne Leidenschaft allein kraft der Auswahl, die mit Hilfe der sinnlichen Auffassung getroffen wird; wie das zumal klar ist, wenn die Vernunft der Leidenschaft widerstrebt.
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