Die orientalische Messe der vorgeheiligten Elemente
S. 279 Die Idee, welche der Liturgie der vorgeheiligten Elemente zugrunde liegt, ist darin zu suchen, daß in der Fastenzeit der Charakter der Trauer gewahrt werden sollte. Die Abendmahlsfeier unterblieb daher an bestimmten Tagen, als deren Ersatz nur gewisse Gebete und die Kommunion mit dem Abendstundengebet (λυχνικόν) [lychnikon] verbunden wurde. Über diese eigenartige Verbindung von Vesper und Kommunionakt haben wir durch die literarischen Funde der letzten Zeit eingehende Nachrichten erhalten. Insbesondere die Rezitation mehrerer Psalmen, später der Gradualpsalmen (Ps. 119—123; 124—128; 129—133) [hebr. Ps. 120-124; 125-129; 130-134], der Zusammenhang der Vesper mit einem religiösen Mahle zeigt uns eine äthiopische Kirchenordnung1, welche bis ins einzelne eine Samstagabendagape schildert, d. i. eigentlich eine Vigil vom Sonntag. Die Feier hatte am Abend statt, und wurde dadurch eingeleitet, daß der Diakon ein Licht herein brachte, wobei er den Gruß sprach: Χάρις τοῦ κυρίου ἡμῶν μετὰ πάντων ὑμῶν [Charis tou kyriou hēmōn meta pantōn hymōn]. Der Bischof spricht einige Dankgebete, Kinder und Jungfrauen singen Lieder zum Anzünden der Lampe; das ganze Volk beteiligt sich an der Psalmenrezitation, die von den Liturgen vorgenommen wird, durch den Ruf: „Halleluja“, d. h. wir preisen ihn, Gott, welcher der Höchste ist. Gepriesen und gelobt sei der, welcher die ganze Welt mit einem Worte gründete.
Die zweite, noch nicht lange bekannte Quelle, welche zu den Nachrichten der äthiopischen Kirchenordnung tritt, liegt in dem „Testament unseres Herrn“2 vor. Es ergänzt insoferne die erstgenannte, als es erwähnt, daß diese Feier an „feria quinta“ der letzten Paschawoche abgehalten ward, also am Gründonnerstagabend als Vigil für Karfreitag, und als hier statt des religiösen Gemeindemahles ein anderer Kultakt genannt wird.
S. 280 Während der Vesper beteiligte sich das Volk an der Rezitation der Psalmen; es fanden auch Lesungen und eine Predigt statt. Zugleich wird eine weitere Handlung angegeben: et qui passus est pro eo quod obtulit, ipse est qui accedit3, Worte, in denen eine Umschreibung der προηγιασμένα [proēgiasmena] liegen dürfte. „Der Herr selbst, welcher litt für das, was er darbrachte, er selbst ist es, der hinzutritt.“ Die bereits geheiligten und als Opfergaben bestimmten Elemente sind der Herr selbst; er naht sich, indem sie herzugebracht werden, wobei der Liturge nur die Rolle des den Vorgang vermittelnden Werkzeuges im Dienste des Herrn spielt.
Das Testament mag uns mit diesem Satze die mit der Vesper verbundene Kommunionfeier4 angeben.
Die Vereinigung beider Teile, der Vesper und der Herrnmahlfeier, ging, wie es scheint, überall in gleicher Weise vor sich. Wir wissen von Sokrates5, daß λυχνικὰ [lychnika] in Griechenland, Thessalien, Jerusalem, bei den Novatianern in Konstantinopel, in Kleinasien und Ägypten abgehalten wurden, erfahren aus dem achten Buch der apostolischen Konstitutionen und der Peregrinatio Aetheriae Einzelheiten über den Abendgottesdienst, während das Testament selbst für Ägypten Zeuge ist. Ebenso erfahren wir schon im vierten Jahrhundert von der λειτουργία τῶν προηγιασμένων [leitourgia tōn proēgiasmenōn] in den Kanones des Konzils von Laodicea6.
Was sich an der Feier änderte, sind zwei Momente: die Zeit, zu der sie abgehalten wurde und die liturgischen Gebete. Während noch im vierten Jahrhundert diese Liturgie noch mit der Vesper gefeiert wurde, rückte die Zeit immer weiter vor, offenbar wegen der Fastendisziplin. Es sollte bis zur Kommunion nichts genossen werden. Auch die Nachtvigilien samt der Vesper wurden auf den Nachmittag verlegt, so daß um drei Uhr die Feier sich vollzog, später wurde sie auf zwölf Uhr mittags festgesetzt. Es wechselten aber auch die Tage, an denen sie zur Verwendung kam. Nach glaubhafter Mitteilung des Sokrates7 wurde in Ägypten zur Zeit des Origenes an den Mittwochen und Freitagen der Fastenzeit ohne Weihe der geheimnisvollen Elemente nur ein Wortgottesdienst abgehalten. Nach dem S. 281 49. Kanon der Synode von Laodicea, wie nach Kan. 52 des Trullanum (692) schien die Liturgie der vorgeheiligten Elemente an den Werktagen der vierzigtägigen Fastenzeit mit Ausnahme der Samstage und Sonntage (und des Festes Mariä Verkündigung) gefeiert worden zu sein. Später wurde sie da und dort auf die ersten drei Wochentage der Fastenzeit beschränkt. Die Jakobiten der Neuzeit verwenden sie überhaupt nicht mehr.
Veränderungen erfuhr die Liturgie selbst, und zwar, wie es scheint, betreffs wesentlicher und unwesentlicher Bestandteile. Dia Übung ging dahin, daß an den betreffenden Vortagen soviele Hostien konsekriert wurden, als für die folgende Zeit nötig erschien. Sie wurden wohl sorgsam ursprünglich im Diaconicum, dann in einem eigenen Tabernakel aufbewahrt8. Schwierigkeit verursachte die Praxis mit dem konsekrierten Kelche, nachdem nun einmal festzustehen schien, daß die Kommunion unter beiden Gestalten gereicht werden müsse. Man suchte sich auf dreierlei Weise zu helfen. Es gibt Liturgien, welche den eigenartigen Titel führen: Ritus der Kelchweihe9. Diese Quellen lassen erkennen, daß man nur die zum Kelche passenden Abendmahlsworte mit der dafür geeigneten Epiklese sprach. Eine zweite Gruppe von Handschriften läßt erkennen, daß man einen Kelch mit Wasser und Wein mischte, welcher mit einem konsekrierten Hostienteile, der ἄνθραξ [anthrax] (Isa. c. 6, 6 = Kohle) hieß, gesegnet und vermischt wurde. Es war bei den Orientalen die Theorie verbreitet, daß dadurch auch der Wein konsekriert werde. Eine dritte Praxis bestand darin, daß der Liturge bei der sonntäglichen Feier die konsekrierten Hostien für die Reihe von Tagen in der Hand hielt und sie mit dem Blute benetzte, so daß sie auch von dem flüssigen Elemente Bestandteile enthielten.
Die übrigen Teile der Liturgie der vorgeheiligten Elemente unterlagen ebenfalls dem Wandel der Zeit und nahmen an der uns bekannten Entwicklung der gewöhnlichen Liturgien teil. Wir können uns denken, daß zur Zeit der Ausbildung des Kommunionritus im vierten Jahrhundert und in den späteren Stadien die Rezitation des Vaterunsers und eine wohlverteilte Gruppe von Bitt- und Dankgebeten sich um den Kommunionakt S. 282 gruppierte, während der Kern der Anaphora (das große Dankgebet, die Abendmahlsworte mit dem daranschließenden Opfergebet) ganz oder teilweise unterblieb.
Unter diesen Voraussetzungen dürfte es nicht angängig sein, einen Verfasser dieser Liturgie zu suchen. Jede Kirche des Ostens hatte in gleicher Weise die Grundlage, deren Entwicklung der ihrer andern Liturgien parallel lief: Byzanz, Kleinasien, Syrien und Ägypten nannten solche ihr eigen, bis allmählich mit dem Vordringen der byzantinischen Liturgien auch die λειτουργία τῶν προηγιασμένων [leitourgia tōn proēgiasmenōn] von der Reichshauptstadt überall eindrang und die bisher heimischen verdrängte10.
Wir wissen nur von einer Einführung, welche nach dem Chronicon Paschale auf den Patriarchen Sergios von Konstantinopel zurückgeht, daß nämlich die Hereinbringung der vorgeheiligten Gaben aus der Sakristei von einem Gesang des Volkes: νῦν αἱ δυνάμεις τῶν οὐρανῶν [nyn hai dynameis tōn ouranōn] begleitet sein soll11, wenn der Priester mit der Doxologie des vorhergehenden Gläubigengebetes geschlossen hat.
Aber auch für diese Liturgie findet man allenthalben in den Handschriften Verfasser angegeben: meist Papst Gregor den Großen, in den Hss selbst als Γρηγόριος ὁ διάλογος [Grēgorios ho dialogos] bezeichnet, daneben auch Johannes Chrysostomus, Epiphanius, Germanus von Konstantinopel für die byzantinische Praesanctificatenmesse, Jakobus den Herrnbruder für die syrische12, Markus13 für die in Ägypten gebräuchliche und andere Verfasser. Zweifellos sind all das spätere Zutaten, die mit der Geschichte dieser eigenartigen Liturgie nichts zu tun haben.
Die Überlieferung in Hss und Ausgaben der byzantinischen Liturgie der vorgeheiligten Elemente geht ganz parallel der Chrysostomusliturgie, so daß wir auf sie verweisen können. Die folgende Übersetzung ist von Rem. Storf nach der Ausgabe bei Brightman S. 345—352 gefertigt, welche einer Handschrift des neunten Jahrhunderts entspricht; dazu wurden die vom Diakon zu verrichtenden Gebete nach Daniel, Codex liturgicus, in Klammern beigefügt, weil sie in der englischen Ausgabe nicht verzeichnet sind.
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(1.) s. Ed. v. d. Goltz, Unbekannte Fragmente altchristlicher Kirchenordnungen, Sitzungsberichte der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften Jahrg. 1906 I. Halbband S. 148—152. Die Psalmen, welche bei den jüd. Sabbathmahlen rezitiert wurden: Ps. 113—118; 145, 10—11; 136 . Vgl. Th. Schermann, Agapen in Ägypten und die Liturgie der vorgeheiligten Elemente, Theologie und Glaube 1912. cfr. Can. Hippolyti can. 32 § 164 f. s. H. Achelis, Die ältesten Quellen des orientalischen Kirchenrechts I. Buch [Texte und Untersuch. VI 4], Leipzig 1891, 105: Si Agape vel coena paratur κυριακῇ [kyriakē] tempore accensus lucernae, praesente episcopo, surgat diaconus ad accendendum. ↩
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(2). Ign. Ephr. Rahmani, Testamentum Domini nostri Jesu Christi, Moguntiae 1899, 135 (lib. II c. 11); s. P. Drews, Rahmani, Testamentum, Theologische Studien und Kritiken 74, 1901, 163, 166 f. ↩
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(3.) Rahmani S. 134 A. 135; Drews, Studien a. a. O. 74, 1901, 167. ↩
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(4.) Rahmani 134: feria quinta ad vesperas offert sacerdos panem et calicem mixtum aqua et vino ad implendum mysterium paschae. ↩
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(5.) Socrates h. e. V 22 (Migne, 67, 636 A. 640 A), Sozomenus h. e. VIII 9 (Migne 67, 1478), AK VIII 35—37 (ed. Funk, Didascalia et Constitutiones apostolorum vol. I Paderb. 1906, 544), Peregrinatio ad loca sancta ed. P. Geyer, CSCL XXXIX Vindob. 1898, c. 40 (S. 92 Zeile 20), c. 24, 4 (S. 72 Zeile 5) λυχνικόν [lychnikon]; cfr. Basilius (Migne 32, 203) ἐπιλύχνιος εὐχαριστία [epilychnios eucharistia] jedes ἑσπερινός [hesperinos]. ↩
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(6.) Sokrates h. e. V 22 (Migne 67, 636 A), Can. Laodicea 49: Das Brot darf während der Quadragesima nicht geopfert werden außer an Samstagen und Sonntagen. ↩
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(6.) Sokrates h. e. V 22 (Migne 67, 636 A), Can. Laodicea 49: Das Brot darf während der Quadragesima nicht geopfert werden außer an Samstagen und Sonntagen. ↩
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(7.) Herb. Thurston, The early cultus of the reserved eucharist, Journ. of theol. studies XI 1910, 275—279 (mit weiteren Literaturangaben: Raible - Krebs). ↩
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(8.) Der Wortlaut des soeben angeführten Kanons von Laodicea scheint nur darauf hinzudeuten, daß das Brot nicht geopfert werde. In einer ostsyrischen Praesanctificatenmesse ist auch nur die Hostie vorgeweiht, der Kelch wird mit den über ihn gesprochenen Abendmahlsworten und mit der folgenden Epiklese gesegnet, siehe Codrington, Journal of theological studies V 1904, 541; ganz ähnlich in einer koptischen Liturgie, welche Renaudot nach einer Handschrift eines Klosters des hl. Makarius in der Wüste Schihat edierte als ritus compositionis calicis; bei Assemani, Codex liturg. VII, Missale Alexandrinum 1754, anastatischer Neudruck 1902, 181, 184. H. W. Codrington, Liturgia praesanctificatorum syriaca S. Joannis Chrysostomi in Χρυσοστομικά [Chrysostomika] II. fasc. Roma 1908, 719—729, aus Brit. Mus. Add. 17128, besonders S. 725 Anm. 1 Theodor von Studion. ↩
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(9.) Brightman, Liturgies Eastern and Western I 345—352; die Praesanctificatenmesse des Jakobus bei Brightman S. 494—506 (aus Codex Sinait. 1040). ↩
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(10.) Chron. Pasch. ad annum 615 (Migne P. gr. 92, 989 A). s. K. Holl, Archiv für Religionswissenschaft IX 377; Brightman p. CXIII u. S. 348 Zeile 20. ↩
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(11.) H. W. Codrington, The syrian liturgies of the praesanctified, Journal of theol. studies IV, Okt. 1902, 69 ff; V 1904, 369 ff.: Westsyrischer Ritus nebst einem Typicon für die Praesanctificatenmesse nach dem Nomokanon des Barhebraeus († 1268), worin auf frühere Verordnungen verwiesen wird, z. B. des Jakobus von Edessa, Johannes von Tella († 538), Severus von Antiocheia (511—518; † 538). Journ. of theol. stud. V 1904, 535 ff. ostsyrischer oder persischer Ritus aus Cambrigde add. 1988 (a. d. 1559). ↩
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(12.) Brightman p. LXVI. Vgl. Konr. Lübeck, Die christlichen Kirchen des Orients (Sammlung Kösel 43) 1911, 125 f. ↩