14.
A. Sehr schwierig, o Hermias, und ganz unzugänglich ist die Sache und für die Beredtesten hart zu sagen oder vielmehr auch selbst zu verstehen. Denn sowohl mit der Vernunft ist das Übervernünftige nicht erreichbar, als auch mit der Sprache ist das Unaussprechliche nicht zu erklären. Denn daß Gott Vater ist und in Wahrheit uns den Sohn aus seiner Wesenheit gezeugt habe, hat der Glaube uns überliefert und die heilige Schrift besiegelt und als wahr geoffenbart, indem sie überall den Vater und die Zeugung nennt. Ich glaube aber, man dürfe das durch den Glauben Überlieferte nicht mehr gleichsam durch kühnere Forschungen untersuchen. Denn was untersucht wird, ist S. 133 nicht mehr Glaube. Gleichwie nämlich eine Hoffnung, die man sieht, keine ist (denn was Einer sieht, was erwartet er es noch? gemäß dem Ausspruche1 des höchst weisen Paulus), so ist ein Glaube, der untersucht wird und nicht unerforschlich ist, kein Glaube, nach dem gleichen Verhältniß mit der Hoffnung. Mithin das durch den Glauben Angenommene ist durchaus frei von der Forschung. Ich sage also: Gleichwie der zu Gott Hinzutretende gewiß glauben muß, daß er ist,2 forschen aber nicht mehr, so muß er annehmen und dafür halten, daß Gott auch Vater ist und gezeugt hat, das Grübeln aber, „wie“, als unerreichbar bleiben lassen. Denn ich glaube, gewiß Niemand werde Diejenigen verlachen, welche klug erkannt haben, daß es sich gezieme, dem ganz Überschwänglichen den Sieg zu überlassen. Für allen Verstand überragend aber wird man wohl die Weise der göttlichen Zeugung halten. Man kann wenigstens deutlich hören, wie Gott der Vater zu dem der Natur nach aus ihm Entsprungenen spricht:3 „Aus dem Schooße vor dem Morgenstern habe ich dich gezeugt.“ Gleichsam die Ächtheit nämlich der Geburt und die Erzeugung des Sohnes aus der Wesenheit des Vaters selbst drückt recht gut das „aus dem Schooße“ aus, welches ganz passend von dem Beispiele bei uns hergenommen ist. Daß er aber sagt, er habe ihn „vor dem Morgenstern“ gezeugt, zeigt vielleicht an, daß die Weise der Erzeugung in Unsichtbarkeit und Unbegreiflichkeit und gleichsam in tiefem Dunkel verschlossen sei. Denn wenn der Morgenstern soeben aus den östlichen Grenzen leuchtend emporsteigt, verbreiten sich seine Strahlen über den Äther, und zugleich erhebt sich ein noch spärliches schwaches Licht als Vorbote von dem Glanze der Sonne, indeß das Dunkel der Nacht bereits altert. Wenn er aber noch nicht am Himmel gesehen wird, wird die Nacht noch in der Vollkraft sein, wann auch eine dicke Finsterniß die Augen bedeckt und den am Gesicht S. 134 Beschädigten (Blinden) auch Die gleich sind, welche kein solches Leiden haben. Nun denn, so sag’ uns selber, was ist das göttlich Wunderbare in der Erzeugung des Sohnes, wenn sie auch gedacht wird vor dem Morgenstern?
B. Etwas Wunderbares, o Freund, ist es um die Erzeugung. Die Ursprünglichkeit nämlich und das hohe Alter kann man erkennen daraus, daß sie gedacht wird vor dem Morgenstern.
A. Aber wie? Wäre es nicht besser, zu sagen: vor Sonne und Mond, oder gar: vor Himmel und Erde? Denn älter als Sterne und Morgenstern sind diese. Vielmehr aber auch, wenn man sagen würde, vor Erde und Himmel und überhaupt der gesammten Schöpfung sei der Sohn, so würde ich wenigstens es für etwas Geringes und Kleines halten. Denn aus dem anfangslosen Vater entsprang er, und die Weise seiner Erzeugung ist durchaus unaussprechlich und unbegreiflich. Darum sagt uns auch selbst der berühmte Isaias:4 „Wer wird seine Geburt erzählen? Denn aufgehoben von der Erde wird sein Leben,“ indem er, glaube ich, ganz schön Geburt nennt die Erzeugung, Leben aber die Existenz, von der er mir auch ganz wahr zu sagen scheint, daß sie aufgehoben werde von der ganzen Erde oder erhaben sei und hinausrage über allen Verstand der Erdenbewohner und hoch liege über unseren Gedanken, unzugänglich und unerreichbar den Maaßen der Menschheit. Daß aber der Sohn auch jenseits aller Zeit und vor diesem Anfang gewesen ist nicht weniger als der Vater, Das bezeugt uns ein anderer der heiligen Propheten, indem er ruft:5 „Und du, Bethlehem, Haus des Ephrata, bist keineswegs die geringste unter den Tausenden Juda’s; denn aus dir wird mir hervorgehen, der da sein soll Herrscher in Israel, und seine Ausgänge sind von Anfang seit den S. 135 Tagen der Ewigkeit,“ indem er (damit) sagt, seine Existenz aus dem Vater sei gleichsam ein eigener Ausgang gewesen, wonach wir ihn als von Anfang, über den hinaus Nichts ist, durchaus mit seinem Erzeuger zugleich bestehend denken, nicht ungezeugt, sondern gezeugt. Was also, meinst du, für Gelächter verdienen Die, welche ich weiß nicht wie meinen, durch menschliche Erwägungen und so und so hoch angeschlagene Gedanken so erhabene Dinge erreichen zu können? Denn wie sollte Einer wissen, wie Gott zeuge, wenn er nicht zuerst erkannt hat, daß er überhaupt seiner Natur nach ist?
B. Aber Das ist nicht möglich. Denn „Dunkel hat er zu seinem Verstecke gemacht,“ wie geschrieben steht,6 „und rings um ihn ist sein Gezelt,“ indem er, meine ich, das schwer Sichtbare oder vielmehr das Unsichtbare und Unbegreifliche sowohl als „Dunkel“ bezeichnet als auch „Gezelt“ nennt, in welchem gewissermaßen auch versteckt er, der Alles erfüllt, nur von sich selbst und seinem Erzeugten erkannt wird. Er sagt nämlich:7 „Niemand erkennt, wer der Sohn ist, ausser der Vater, und Niemand erkennt den Vater, wer er ist, ausser der Sohn, und dem der Sohn es offenbart.“
A. Du hast Recht, und ich lobe dich jetzt sehr wegen dieser Worte. Wenn also Jemand sich Mühe gibt und waghalsig erforschen will, was durch den Verstand nicht erreichbar und durch die Kraft der Worte nicht erklärbar ist, von einem Solchen werden wir keineswegs sagen, er sei wißbegierig, sondern vielmehr, er schwimme in überflüssigen Mühen. Man wird aber auch von jedem Solchen sagen und nicht unpassend:8 „Wer sich auf Lügen stützt, der wird Winde weiden und fliegenden Vögeln nachjagen.“ Denn er verließ die Wege seines Weinberges und irrte ab von S. 136 den Geleisen seines Ackers; er durchwandert aber eine wasserlose Wüste und ein in durstigen Steppen gelegenes Land und sammelt mit den Händen Unfruchtbarkeit. Indem sie aber ganz unverständiger Weise den zum Nutzen dienenden und von Wahrheit erfüllten Dingen gleichsam Lebewohl sagen, pflegen sie die Lüge und nehmen, was keine Frucht der Gottseligkeit hat, wie etwas Nothwendiges auf; ihr Geist aber versteigt sich vollends zu solcher Anmaßung, daß sie es zuletzt noch gar für einen Vorwurf und eine Anklage halten, die Beschaffenheit der göttlichen Natur nicht zu kennen und Dieß Gott allein zu überlassen, obwohl die heilige Schrift ruft, ganz unerklärlich seien die göttlichen Wege, das heißt gleichsam die Regierung und Verwaltung über die einzelnen Wesen. Es singt nämlich und preist irgendwo der göttliche David, indem er sagt:9 „Im Meere sind deine Wege und deine Pfade in Wasserwogen, und deine Spuren werden nicht erkannt.“ Von einem Schiffe nämlich, das von günstigen Winden sehr wohl getrieben ist und in die hohe See hinausfährt, ist die Spur unsichtbar; denn indem es einem Pfluge gleich kaum den Rücken des Meeres durchfurcht, eilt es gewissermaßen geflügelt mitten durch die Wogen, welche auch durch ihr Ineinanderfließen sogleich vermischen, was durchschnitten zu sein schien. Oder ist es nicht so?
B. Allerdings. Aber sieh’ zu, wie uns die Erzeugung ohne Leiden und Abfluß sein wird, und ob man sagen kann, nicht früher als das Verursachte existire dessen Ursache!