1.
S. 217 Äußerlich belästigt zwar das Fasten, aber innerlich reinigt es die Seele; es ist wohl schwer zu ertragen, bringt aber reichlichen Lohn. Der Wein, welcher das Antlitz rötet, schwärzt die Seele gar sehr; er erheitert den Körper, trübt aber den Geist. Da wir nun sowohl aus dem Körper, als auch aus der lebendigen Seele bestehen, [10] so wollen wir all unser Tun so anordnen, daß beide, Leib und Seele, ihre Nahrung erhalten. Laßt uns in solcher Weise Speise nehmen, daß unser Leib in Bestand und Kraft bleibe, und laßt uns in der Absicht fasten, daß unsere Seele ihre Herrschaft über ihn befestige! Unser Mund enthalte sich der Speise, aber auch unser Herz der Sünde, damit das Fasten unseres Mundes zugleich mit der Gesinnung unseres Herzens wohlgefällig angenommen werde! [20] Denn es genügt nicht, nur dem Munde die Speise vorzuenthalten, sondern alle Glieder müssen vor Verderblichem bewahrt werden. Betrachtet einen geschickten Wagenlenker, wie er die vorgespannten Rosse beaufsichtigt und die Zügel bald nachläßt, bald anspannt, um sie in gleichmäßigen Lauf zu bringen; denn wenn auch nur ein einziges die Zügel abstreift oder sich verwickelt, [30] kommen durch den Fall des einen auch die übrigen in Unordnung und werden in ihrem Lauf gehemmt. Ebenso belehrt uns auch das Gesetz, indem es in Betreff des Aussatzes vorschreibt1, man solle den ganzen Menschen für unrein erklären, wenn auch nur ein Glied aussätzig wird. Bei dem Kriege gegen Jericho hatte nur Achan gestohlen, und doch wurde das ganze Volk wegen des Diebstahls des Gesteinigten bestraft2. [40] Dieses Beispiel laßt uns nun auch auf den Leib und seine Glieder anwenden; wenn ein Glied sich vergeht, so sündigt der ganze Leib. Denn sehet, als Maria3, die Schwester Moses, aussätzig wurde, hatte sich zwar nur ihre Zunge durch Reden vergangen, und dennoch ward ihr ganzer Körper von dem abscheulichen Gewande des Aussatzes eingehüllt. [50] Es möge sich also nicht nur unser Mund bestreben, sich der Speise zu enthalten, sondern alle S. 218 Glieder mögen vor Verderblichem bewahrt werden. Während der Mund fastet, möge zugleich auch die Zunge fasten, so daß sie nicht durch unnütze Reden dein Fasten nutzlos mache! Wenn dein Fasten auch dem Honig gliche, aber deine Zunge in Galle getaucht ist, so würde jene Süßigkeit doch wegen der ihr beigemischten Bitterkeit verworfen werden. [60] Und ebensowenig wie man mit Galle vermischten Honig annimmt, wird auch das mit Haß vermischte Fasten angenommen werden. Der Mund enthalte sich der Speise, aber auch die Augen sollen sich enthalten; jener möge keinen Wein und diese keine Unkeuschheit einschlürfen! Wenn zwar dein Mund fastet, aber deine Augen in Lüsten herumschweifen, [70] so werden deine Wimpern zu Fesseln für dein Fasten, so daß es den Kampf nicht siegreich bestehen kann. Denn gleichwie die Augen zu der Zeit, in welcher sie Bußtränen vergießen, den Schuldbrief auslösen und den ganzen Körper reinigen, ebenso verfinstern sie sich umgekehrt und verleiten alle Glieder zur Sünde, wenn sie sich mit unreiner Begierde auf Angesichter richten. [80] Wer mit dem Munde fastet, indem er nicht ißt, der möge auch sein Gehör mitfasten lassen, indem er nicht die Speere der Verleumdung, welche die Seele töten, in dasselbe eindringen lasse. Denn wenn sich die Seele, diese kriegerische Königin der Glieder, für den Kampf nur den Mund durch den Panzer des Fastens geschützt, aber die Ohren unbedeckt gelassen hat, so muß sie unterliegen. Sehr fein ist der Speer des Bösen und vermag zwischen den Augenwimpern seines Gegners hindurch einzudringen; [90] um wie viel mehr wird er also zur offenstehenden Türe des Ohres eingehen können? Durch das Ohr drang einst der Tod ein und mordete den ersten Menschen; bewahret also euer Gehör, ihr Faster, damit ihr durch dasselbe keine Verleumdung aufnehmet!