12.
Er war Sklave eines gewissen Karpophorus, eines Christen aus der Hofhaltung des Kaisers. Karpophorus vertraute ihm als Christen eine nicht unbeträchtliche Geldsumme an und trug ihm auf, Bankgeschäfte zu machen. Er nahm das Geld und errichtete ein Wechselgeschäft in der sogenannten Piscina publica1. Es wurden ihm im Laufe der Zeit viel Depositengelder von Witwen und Brüdern auf den guten Namen des Karpophorus hin anvertraut. Er brachte alles durch und kam in Schwierigkeiten. Es fand sich einer, der dieses Gebaren dem Karpophorus hinterbrachte; dieser sagte nun, er werde Rechnungslegung von Kallistus verlangen. Da Kallistus dies erfuhr und die ihm von seinem Herrn drohende Gefahr voraussah, machte er sich aus dem Staub und floh dem Meere zu; da er in Portus ein Schiff klar zur Abfahrt traf, bestieg er es, um die Fahrt, gleichviel wohin, mitzumachen. Aber auch so gelang es ihm nicht, unbemerkt zu bleiben; es fand sich nämlich einer, der die Sache dem Karpophorus hinterbrachte. Dieser kam auf diese Kunde zum Hafen und versuchte, auf das Schiff zu gelangen. Das Schiff aber ankerte in der Mitte des Hafens. Da der Kapitän (mit der Abfahrt) zögerte und Kallistus von weitem seinen Herrn sah, und zugleich einsah, daß er (auf dem Schiff) gefangen sei, sagte er dem Leben Valet und stürzte sich ins Meer, in der Meinung, nun sei es zu Ende. Die Schiffsleute sprangen aber in die Kähne und zogen ihn gegen seinen Willen unter großem Geschrei der Leute am Strande heraus; so wurde er seinem Herrn übergeben und nach Rom zurückgebracht; der aber schickte ihn in die Tretmühle. Im Laufe der Zeit kam es dazu, daß Brüder zu Karpophorus gingen und ihm zuredeten, er solle dem flüchtig gegangenen Sklaven die Strafe S. 247 erlassen, da er angebe, er habe bei gewissen Leuten Gelder stehen. Karpophorus nun, der ja ein frommer Mann war, sagte, auf das Seinige wolle er gern verzichten, die Depositen aber drückten ihn — viele sagten ihm unter Tränen, sie hätten auf seinen guten Namen hin dem Kallistus Gelder anvertraut —, und so ordnete er auf diese Bitten hin an, daß Kallistus herausgelassen würde. Da dieser nun doch nichts hatte, um Ersatz zu leisten und, unter Bewachung stehend, nicht wieder entlaufen konnte, ersann er ein künstliches Mittel, um zu sterben, und unter dem Vorgeben, sich zu Schuldnern zu begeben, rannte er eines Sabbats zur Synagoge der Juden während des Gottesdienstes und erregte dort einen Tumult. In ihrer Erregung beschimpften und schlugen ihn die Juden und schleppten ihn zu Fuscianus, dem damaligen Stadtpräfekten, und brachte folgendes vor: Die Römer haben uns gestattet, die vaterländischen Gesetze in öffentlicher Versammlung vorzulesen; der aber ist bei uns eingedrungen und hat uns daran gehindert; er hat einen Tumult erregt und sich dabei gerühmt, ein Christ zu sein. Fuscianus, der zu Gerichte saß, ärgerte sich sehr über Kallistus auf die Anklagen der Juden hin; da hinterbrachte jemand dem Karpophorus, was vorging. Der lief zum Richterstuhl des Präfekten und rief: „Ich bitte dich, Herr Fuscianus, glaube ihm nicht, er ist ja kein Christ; er hat mir viel Geld durchgebracht; nun sucht er eine Gelegenheit zu sterben; dafür werde ich den Beweis erbringen.“ Die Juden hielten dies für einen Schwindel des Karpophorus, um Kailist unter diesem Vorwand frei zu bekommen und schrien noch wütender auf den Präfekten ein. Der gab ihnen nach, ließ ihn geißeln und schickte ihn in die sardinischen Bergwerke; dort waren noch andere Bekenner. Markia, die ein gutes Werk tun wollte — sie war fromm, Konkubine2 des Kommodus —, ließ einige Zeit darauf den seligen Viktor, der damals Bischof der Kirche war, zu sich kommen und frug nach, was für Bekenner in Sardinien seien. Er gab die Namen aller an, nicht aber den des Kallistus, da er wußte, was er alles angestellt S. 248 hatte. Markias Wunsch ward durch Kommodus erfüllt; sie gab also das Freilassungsdekret einem Eunuchen, dem Priester Hyacinthus; der nahm es an sich, fuhr nach Sardinien hinüber und übergab es dem dortigen Statthalter und befreite die Bekenner mit Ausnahme des Kallistus. Der fiel nun auf die Knie und flehte unter Tränen, man möchte doch auch ihn freilassen. Hyacinthus ließ sich erweichen und stellte diese Bitte an den Statthalter unter Hinweis, daß er Erzieher der Markia gewesen, und unter Garantie für dessen Sicherheit; der ließ sich überreden und gab auch den Kallistus frei. Als dieser nun ankam, war Viktor über die Sache sehr ärgerlich; gutherzig, wie er war, schlug er jedoch nicht Lärm; da er aber die Vorwürfe vieler Leute befürchtete — denn des Kallistus Manipulationen lagen noch nicht weit zurück — und da auch noch Karpophorus protestierte, wies er dem Kallistus Antium als Aufenthaltsort an und warf ihm eine monatliche Pension als Unterhaltsbeitrag aus. Nach Viktors Heimgang nahm Zephyrinus den Kallistus als Mitarbeiter bei der Organisation des Klerus und zeichnete ihn zu seinem eigenen Schaden aus. Er ließ ihn von Antium kommen und berief ihn in das Coemeterium. Durch seine ständige Anwesenheit und seine Augendienerei, wie ich eben vorher gesagt habe, richtete Kallist den Zephyrinus zugrunde, der weder beurteilen konnte, was gesagt wurde, noch des Kallistus Intriguenspiel durchschaute, der ihm alles zu Gehör redete. Kallist exkommunizierte, da er nach dem Tod des Zephyrinus das erlangt zu haben glaubte, auf das er Jagd gemacht hatte3, den Sabellius als nicht rechtgläubig; er fürchtete mich nämlich und meinte, sich so von dem Vorwurf bei den Kirchen reinigen zu können, als ob er nicht korrekt denke4. Er war eben ein Schwindler und ein Ränkeschmied und mit der Zeit zog er viele mit sich. Er trug sein Gift tief im Herzen und hatte lauter falsche Ansichten; zugleich scheute er sich, die Wahrheit zu sagen; denn er hatte uns geschmäht S. 249 und offiziell ausgesprochen: „Ihr seid Ditheisten“5; ja es wurde ihm von Sabellius ständig vorgeworfen, daß er seinen ursprünglichen Glauben verlassen habe. So erfand er denn folgende Häresie: Er behauptete, der Logos selbst sei Sohn, derselbe sei auch Vater dem Namen nach, in Wirklichkeit sei der ungeteilte Geist einer; nicht etwas anderes sei Vater, etwas anderes Sohn, sondern ein und dasselbe; das All sei erfüllt mit dem göttlichen Geiste, Oberwelt und Unterwelt; und der Geist, der aus der Jungfrau Fleisch angenommen, sei nichts anderes als der Vater, vielmehr ein und dasselbe. Das bedeute das Wort: „Glaubst du nicht, daß ich im Vater und der Vater in mir ist?“6 Das Sichtbare, was ja Mensch sei, das sei der Sohn, der Geist, der im Sohne Wohnung genommen habe, der sei der Vater: „Denn“, so sagt er, „ich will nicht zwei Götter bekennen, Vater und Sohn, sondern einen.“ Nachdem der Vater im Sohne Fleisch angenommen hatte, vergöttlichte er es durch die Vereinigung mit sich und machte eine Einheit, so daß Vater und Sohn ein Gott genannt würden, und, da dies eine Person sei, so könnten es nicht zwei sein und so habe der Vater mit dem Sohne mitgelitten; er will nämlich nicht aufstellen, daß der Vater gelitten habe und daß es nur eine Person gebe, vielmehr möchte er, der dumm-schlaue Mensch, der Lästerung gegen den Vater auskommen, er, der nach allen Richtungen Lästerungen verbreitete; um wenigstens scheinbar der Wahrheit gemäß zu lehren7, scheut er sich nicht, bald in die Lehre des Sabellius zu verfallen, bald in die des Theodotus. Nachdem er sich solcher Dinge erkühnt, gründete er mit dieser Lehre eine Schule im Gegensatz zur Kirche und wagte es als erster, den Leuten Dinge, die zur Befriedigung der Lüste dienen, zu erlauben, und erklärte, allen würden von ihm die Sünden nachgelassen. Wenn einer, der einer anderen Gemeinschaft angehört und dort den christlichen Namen erhalten hat, eine S. 250 Sünde begangen hat, so wird ihm — so behaupten sie — die Sünde nicht angerechnet, wenn er nur der Schule des Kallistus zuläuft.
Kallists Dekret gefiel gar manchen, die von Gewissensbissen gequält und überdies aus vielen Sekten ausgestoßen waren, ja es waren einige darunter, die durch Urteilsspruch von uns aus der Kirche ausgeschlossen worden waren; so gingen sie zu ihnen über und füllten des Kallistus Schule. Er war der Ansicht, daß ein Bischof nicht abgesetzt werden müsse, wenn er sündige und sei es auch zum Tod. Von dieser Zeit an begann man zwei- und dreimal verheiratete Bischöfe, Priester und Diakonen zu den Weihen zuzulassen, und wenn einer geweiht eine Ehe eingehe, so bleibe ein solcher im Klerus, als ob er nicht gesündigt hätte; hierüber handle, wie er behauptet, der Ausspruch des Apostels: „Wer bist du, der du über den fremden Knecht Urteil sprichst?“8 Ja auch die Parabel vom Unkraut9, sagt er, beziehe sich hierauf: „Laßt das Unkraut wachsen mit dem Weizen“, das ist die Sünder in der Kirche. Ja er sagte, auch die Arche Noah10 sei ein Gleichnis für die Kirche, in der sich Hunde und Wölfe und Raben, alles Reine und Unreine fand, und so soll es in der Kirche sein; was er noch in diesem Betreff herbeibringen konnte, hat er so ausgelegt, und seine Hörer, denen diese Ansichten gefallen, fahren fort, sich selbst und viele (andere) zum Besten zu haben, die scharenweise zu dieser Schule strömen. Gerade wegen der Lüste, die Christus nicht erlaubt hat, nahmen sie immer zu, auf ihren Massenanhang stolz. Christum verachten sie und hindern keine Sünde, indem sie aufstellen, er verzeihe denen, die guten Willens sind. Auch hat er Frauen vornehmen Standes11, die unverheiratet in noch jugendlichem Alter heiratsüchtig waren, ihren Rang durch eine gesetzmäßige Ehe aber nicht einbüßen wollten, erlaubt, einen Beischläfer nach ihrer Wahl zu haben, sei S. 251 es einen Sklaven, sei es einen Freien, und diesen, auch ohne rechtmäßige Ehe, für ihren Mann anzusehen12. Und so begannen sogenannte Christinnen, empfängnisverhütende Mittel zu gebrauchen und sich zu schnüren, um die Leibesfrucht abzutreiben, weil sie wegen ihrer hohen Geburt und ihres Riesenvermögens kein Kind von einem Sklaven oder einem gewöhnlichen Mann haben wollten. Seht, wie weit der Ruchlose in seiner Gottlosigkeit gekommen ist! Er lehrt Ehebruch und Mord zugleich. Und auf all das hin gehen diese Ausgeschämten daran, sich „katholische Kirche“ zu nennen und manche laufen ihnen zu, in der Meinung, recht zu handeln. Um diese Zeit wagten sie zuerst, eine zweite Taufe zu spenden. Das hat der höchst merkwürdige Kallistus getan, dessen Schule weiter besteht und ihr Herkommen und ihre Überlieferung hütet; ohne Urteil darüber, mit wem man Gemeinschaft haben kann, bietet sie allen ohne Prüfung Mitgliedschaft an; von Kallistus haben sie auch ihren Beinamen erhalten und heißen nach ihrem Gründer Kallistianer.
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Volksbad, wo man zum Schwimmen und zu sonstigem Sport zusammenkam. Es lag im XII. Bezirk, also im Dreieck, das vom Ostiensischen Tor, vom Südostende des Circus Maximus und vom Ardeatinertor gebildet wird. (Ostseite des Aventin.) ↩
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In moderner Terminologie: morganatische Gemahlin. ↩
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Den römischen Bischofstuhl. ↩
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Hippolyt hatte sich, allem Anscheine nach, an die anderen Kirchen gewandt und Kallist der Häresie geziehen. ↩
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Teil einer offiziellen Entscheidung. ↩
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Joh. 14, 11. ↩
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Statt des überlieferten Genitivs nach [kata] κατὰ dürfte wohl der Akkusativ zu lesen sein. ↩
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Röm. 14, 4. ↩
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Matth. 13, 29. 30. ↩
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Gen. 6, 19 ff. ↩
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Aus dem Senatorenstande, „clarissimae“. ↩
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Der Text ist verstümmelt überliefert. Die von mir (Ztschr. f. k. Theol. 38 [1914] S. 422 f.) vorgeschlagene Emendation, die ich der Uebersetzung zu Grunde gelegt habe, stimmt mit jener, der Berliner Ausgabe bis auf unwesentliche Einzelheiten überein. — Frauen aus dem Senatorenstand war eine Ehe mit Sklaven und Freigelassenen römischrechtlich unmöglich; bei einer Ehe mit einem niedriggeborenen Freien verloren sie Titel und Rang. Kallist erkannte nun das römische Konkubinat, ein monogames Verhältnis, das sich für Standesungleiche als Ersatz einer nicht möglichen oder nachteiligen civilrechtlichen Ehe eingebürgert hatte, als kirchlich gültige Ehe an. Das römische Konkubinat ist in etwa der morganatischen Ehe vergleichbar. ↩