20. Kap. Schreiben des Irenäus an die Schismatiker in Rom.
Gegen die, welche in Rom die gesunde Ordnung der Kirche störten, verfaßte Irenäus verschiedene Briefe. Einen betitelte er „An Blastus über das Schisma“, einen anderen „An Florinus über die Monarchie oder daß Gott nicht der Urheber des Bösen sei“. Diese Meinung schien nämlich Florinus zu verfechten. Wegen dieses Mannes, der sich zum Irrtum des Valentinus hinüberziehen ließ, verfaßte Irenäus auch noch die Studie „Über die Achtzahl“.1 Darin gibt er auch zu erkennen, daß er der ersten nachapostolischen Generation nahegestanden. S. 248 Ebendort haben wir gegen Ende des Buches eine sehr beachtenswerte Bemerkung gefunden, die wir unserer Schrift einfügen zu müssen glauben. Sie lautet: „Wenn du dieses Buch abschreiben willst, dann beschwöre ich dich bei unserem Herrn Jesus Christus und bei seiner glorreichen Wiederkunft, wann er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten, daß du deine Abschrift sorgfältig vergleichest und nach dieser Urschrift berichtigest, von der du sie abgeschrieben hast. Auch diese Beschwörung sollst du in gleicher Weise abschreiben und deinem Exemplare beigeben!“2 Diese heilsame Bemerkung des Irenäus geben wir wieder, auf daß wir jene alten, wahrhaft heiligen Männer als schönstes Beispiel einer äußerst gewissenhaften Sorgfalt vor Augen haben. In dem vorhin erwähnten Briefe an Florinus gedenkt Irenäus auch seines Verkehrs mit Polykarp, wenn er sagt: „Diese deine Lehren, Florinus,3 sind — um mich schonend auszudrücken — nicht gesunder Anschauung entsprungen. Diese Lehren widersprechen der Kirche; sie stürzen ihre Bekenner in die größte Gottlosigkeit. Selbst die außerhalb der Kirche stehenden Häretiker haben niemals solche Lehren aufzustellen gewagt. Auch die vor uns lebenden Presbyter, die noch mit den Aposteln verkehrten, haben dir diese Lehren nicht überliefert. Denn als ich noch ein Knabe war, sah ich dich im unteren Asien bei Polykarp; du hattest eine glänzende Stellung am kaiserlichen Hofe und suchtest die Gunst Polykarps zu erwerben. Ich kann mich nämlich viel besser an die damalige Zeit erinnern als an das, was erst vor kurzem geschah; denn was man in der Jugend erfährt, wächst mit der Seele und bleibt mit ihr ver- S. 249 eint. Daher kann ich auch noch den Ort angeben, wo der selige Polykarp saß, wenn er sprach, auch die Plätze, wo er aus- und einging, auch seine Lebensweise, seine körperliche Gestalt, seine Reden vor dem Volke, seine Erzählung über den Verkehr mit Johannes und den anderen Personen, welche den Herrn noch gesehen, seinen Bericht über ihre Lehren, ferner das, was er von diesen über den Herrn, seine Wunder und seine Lehre gehört hatte. Alles, was Polykarp erfahren von denen, die Augenzeugen waren des Wortes des Lebens, erzählte er im Einklang mit der Schrift. Seine Worte habe ich durch die mir gewordene Gnade Gottes damals mit Eifer aufgenommen; nicht auf Papier, sondern in mein Herz habe ich sie eingetragen. Ich erinnere mich auch immer wieder durch die Gnade Gottes genau daran. Vor Gott kann ich bezeugen, daß, wenn jener selige, apostolische Presbyter solche Irrlehren gehört hätte, er laut aufgeschrien, sich die Ohren verstopft und seiner Gewohnheit gemäß ausgerufen hätte: ‚O guter Gott, für welche Zeiten hast du mich aufbewahrt, daß ich solches erleben muß!’ Er wäre fortgeeilt von dem Orte, an dem er sitzend oder stehend solche Lehre vernommen hätte. Diese Wahrheiten werden bestätigt durch die Briefe, welche Polykarp4 teils an benachbarte Gemeinden, die er zu befestigen suchte, teils an einzelne Brüder, die er mahnte und ermunterte, geschrieben hat.“5 So berichtet Irenäus.
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d. i. über die valentinianische Äonen-Achtzahl. ↩
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Vgl. E. Wölfflin und J. Denk, Archiv f. lat. Lexik. XIII (1904) 437 f. u. 583. ↩
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Vgl. H. Koch, „Tertullian und der römische Presbyter Florinus“, in Zeitschr. f. d. neutest. Wiss. 13 (1912), S. 59—83; K. Kastner, „Zur Kontroverse über den angeblichen Ketzer Florinus“, ebd. 133—156; A. Baumstark, „Die Lehre des römischen Presbyters Florinus“, ebd. 306—319. ↩
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Von den Briefen Polykarps ist nur noch der an die Philipper erhalten. ↩
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Die Briefe des Irenäus sind außer den von Eusebius mitgeteilten Bruchstücken (vgl. unten V 24) verlorengegangen. Das oben angeführte Brieffragment ist auch armenisch erhalten (Pitra, „Analecta sacra“ II S. 200 f.). ↩