20. Kap. Vorfall in Jerusalem unter Nero.
Unter Nero gerieten, als Felix Prokurator von Judäa war, die Priester unter sich in Streit, worüber Josephus im zwanzigsten Buche seiner „Altertümer“ wörtlich also schreibt:1 „Die Hohenpriester erhoben sich gegen die Priester und die Vornehmsten im Volke zu Jerusalem. Jeder von ihnen sammelte um sich eine Schar kühnster junger Leute und machte sich zu ihrem Führer. Wenn sie aufeinanderstießen, überschütteten sie sich gegen- S. 89 seitig mit Beschimpfungen und Steinwürfen. Gar niemand war, der eingeschritten wäre. Es herrschte Willkür wie in einem Staate ohne Obrigkeit. Die Hohenpriester gingen in ihrer Rücksichtslosigkeit und Verwegenheit so weit, daß sie es wagten, ihre Diener auf die Tennen zu schicken, damit sie den den Priestern gehörigen Zehnten wegnähmen. Da konnte man es sehen, daß ärmere Priester vor Hunger zusammenbrachen. So sehr hatten Gewalt und Aufruhr die Herrschaft über alles Recht bekommen.“ Zu der gleichen Zeit traten, wie derselbe Schriftsteller erzählt,2 eigenartige Räuber auf, welche am lichten Tage — so berichtet er — und mitten in der Stadt die Passanten ermordeten. Vor allem an Festtagen gesellten sie sich unter die Menge, um mit ihren unter den Gewändern versteckten Dolchen angesehene Personen niederzustechen. Nach vollbrachter Tat nahmen sie an der Entrüstung über den Mord teil. Da sich die Mörder verstellen konnten, blieben sie völlig unentdeckt. Der erste, der als Opfer unter ihren Händen fiel, war der Hohepriester Jonathan. Nach ihm kamen täglich zahlreiche Personen ums Leben. Die Angst war noch schlimmer als der Tod. Wie im Kriege war jeder stündlich auf den Tod gefaßt.