36. Kap. Ignatius und seine Briefe.
Damals1 tat sich in Asien der Apostelschüler Polykarp hervor. Von denen, welche den Herrn noch gesehen und ihm gedient, hatte er die bischöfliche Würde der Kirche zu Smyrna erhalten. Zu seiner Zeit machte sich Papias, Bischof der Kirche zu Hierapolis, bekannt sowie der jetzt noch von den meisten Kirchen hochgefeierte Ignatius, der zweite Nachfolger des Petrus auf dem Bischofstuhle der Kirche in Antiochien. Nach der Überlieferung wurde Ignatius von Syrien aus nach Rom geschickt und dort wegen seines Glaubens an Christus den wilden Tieren zur Beute ausgeliefert. Als er unter strengster militärischer Bewachung durch Asien transportiert wurde, stärkte er in den einzelnen Städten die Kirchengemeinden, mit denen er zusammentraf, durch mündliche Belehrungen und Mahnungen. Vor allem legte er ihnen besonders nahe, sie sollten sich vor den Häresien hüten, die gerade damals zum ersten Male auftauchten. Auch schärfte er ihnen ein, sie sollten unentwegt an der Überlieferung der Apostel festhalten, welche er, um ihnen Sicherheit zu geben, nunmehr auch durch schriftliches Zeugnis mitzuteilen für notwendig hielt. Als er in Smyrna weilte, wo Polykarp lebte, schrieb er einen Brief an die Gemeinde in Ephesus, worin er ihres Hirten Onesimus ge- S. 146 denkt,2 und einen Brief an die Gemeinde in Magnesia am Mäander, worin er den Bischof Damas erwähnt,3 und noch einen Brief an die Gemeinde in Tralles, deren Vorsteher nach seiner Mitteilung damals Polybius war.4 Außerdem schrieb er einen Brief an die Gemeinde der Römer, worin er diese ersucht, sie möchten ihn nicht vom Martyrium losbitten und ihn nicht dadurch der ersehnten Hoffnung berauben. Zum Beweise des Gesagten dürfte es gut sein, aus diesem Briefe ganz kurz einiges anzuführen. Ignatius schreibt wörtlich:5 „Von Syrien bis Rom kämpfe ich mit wilden Tieren zu Wasser und zu Land, bei Tag und bei Nacht, an zehn Leoparden gefesselt, worunter ich die militärische Bewachung verstehe, die, je mehr man ihr Gutes tut, um so schlimmer wird. Aus ihren Kränkungen lerne ich immer mehr. Doch deswegen bin ich noch nicht gerechtfertigt. Ich möchte der Bestien, die mir bestimmt sind, genießen; ich hoffe, sie auf mich gefaßt zu finden. Locken will ich sie, mich auf der Stelle zu fressen. Nicht sollen sie sich, wie sie es da und dort gemacht haben, scheuen, mich anzugreifen. Und wenn sie zögern und sich sträuben, dann werde ich sie zwingen. Verzeihet mir! Was mir frommt, das weiß ich. Nun erst fange ich an, Jünger zu werden. Nichts von den sichtbaren und unsichtbaren Wesen soll mich reizen; denn Jesus Christus will ich gewinnen. Es mögen über mich kommen Feuerqualen, Kreuzigung, aufgehetzte Tiere, es mögen meine Gebeine zerstreut, meine Glieder zerhackt, mein ganzer Leib zermalmt werden, es möge der Teufel mich schinden: wenn ich nur Jesus Christus finde!“ Solche Worte schrieb Ignatius von der erwähnten Stadt aus an die aufgezählten Gemeinden. Als er bereits Smyrna hinter sich hatte, wandte er sich von Troas aus an die Christen in Philadelphia, die Gemeinde in Smyrna und noch eigens an deren Bischof Polykarp. Diesen preist er als apostolischen Mann und übergibt als echter, guter Hirte ihm die Herde von S. 147 Antiochien mit der Bitte, eifrig für sie zu sorgen.6 In einem Briefe an die Gemeinde zu Smyrna schreibt er, ohne daß ich seine Quelle anzuführen weiß, über Christus also:7 „Ich weiß und glaube, daß er nach der Auferstehung im Fleische erschienen ist. Als er zu denen kam, die bei Petrus waren, sagte er zu ihnen: ‚Fasset mich an und berühret mich und erkennet, daß ich nicht ein körperloser Geist bin!’ Und sogleich berührten sie ihn und glaubten an ihn.“ Das Martyrium des Ignatius sowie seine Briefe werden von Irenäus erwähnt. Derselbe sagt:8 „So erklärte auch einer von den Unsrigen, der wegen seines Glaubens an Gott zu den wilden Tieren verurteilt worden war; er hatte behauptet: ‚Gottes Weizen bin ich, und ich werde von den Zähnen der wilden Tiere gemahlen, um als reines Brot erfunden zu werden.’“ Auch Polykarp gedenkt dieser Schriften in dem sog. Briefe an die Philipper. Wörtlich sagt er:9 „Ich ermahne euch alle, gehorsam zu sein und euch in aller Geduld zu üben, welche ihr mit eigenen Augen nicht nur an den Heiligen Ignatius, Rufus und Zosimus, sondern auch an noch anderen Männern, die in eurer Mitte weilten, sowie an Paulus selbst und den übrigen Aposteln beobachten konntet, und überzeugt zu sein, daß alle diese Männer nicht ins Leere gelaufen sind, sondern im Glauben und in der Gerechtigkeit gelebt haben und an den ihnen gebührenden Platz zum Herrn gelangt sind, mit dem sie gelitten hatten. Denn sie liebten nicht die gegenwärtige Welt, sondern den, welcher für uns gestorben und unsertwegen von Gott auferweckt worden ist.“ Sodann fährt Polykarp fort:10 „Ihr sowohl als Ignatius habt mir geschrieben, daß, im Falle jemand nach Syrien ginge, er die von euch gesandten Schreiben mitnehmen möchte. Dies wird bei passender Gelegenheit geschehen entweder durch mich selbst oder durch einen S. 148 meiner Boten, den ich auch in eurem Namen schicken werde. Die Briefe, welche Ignatius an uns geschickt hat, senden wir euch eurem Auftrage gemäß mit allen anderen, die in unserem Besitze sind. Sie sind diesem Briefe beigegeben. Ihr könnt aus denselben großen Nutzen ziehen. Denn ihr Inhalt ist Glaube, Geduld und jegliche Erbauung, die zu unserem Herrn führt.“ Soviel über Ignatius.11 Sein Nachfolger auf dem Bischofstuhle in Antiochien war Heros.
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κατὰ τούτους (scil. χρόνους) = zu den Zeiten Trajans. Vgl. v. Harnack, „Gesch. der altchristl. Lit. II 1, S. 10 f., Schwartz, S. 21, bezieht jedoch diese Zeitbestimmung auf die beiden soeben erwähnten Bischöfe. ↩
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Eph. 1. 2. 6. ↩
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Magn. 2. ↩
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Trall. 1. ↩
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Röm. 5. ↩
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An Polykarp 7. ↩
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Smyrn. 3. ↩
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Gegen die Häres. V 28, 4; vgl. Ignatius, Röm. 4. ↩
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Polykarp, Phil. 9. ↩
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Ebd. 13. ↩
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Herausgegeben sind die Briefe des Ignatius und der Brief Polykarps u. a. von Karl Bihlmeyer, „Die apostolischen Väter“ I (Tübingen 1924) S. 82—120. ↩