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Darauf werden wieder jene eitlen Schwätzer sagen: Mit derartigen Beweisstellen kannst du uns nicht überzeugen, daß Christus wirklich eine Seele gehabt habe, weil man ja in den göttlichen Schriften auch liest, daß Isaias in der Person Gottes des Vaters über den Eingeborenen spricht: „Dies ist mein geliebter Sohn, an welchem ich mein Wohlgefallen habe, den meine Seele liebt“1 . Was soll man nun über den Vater denken, daß er eine Seele in sich gehabt habe oder daß er sie noch habe? Wer möchte wohl so ungeschickt daher reden und so vom Vater denken? Was also, so sagen sie, bleibt übrig? Offenbar, daß dieses Wort [Seele] vom Vater im bildlichen Sinne gebraucht werde. Wenn man's nun vom Vater im bildlichen Verstande nehme, so müsse man es wohl auch vom Sohne so nehmen. Wenn er da daher auch sage: „Meine Seele ist betrübt“, und:2 „Ich habe Gewalt, meine Seele hinzugeben und sie wieder zu nehmen“, so habe er deshalb noch keine Seele haben müssen, sondern es sei die Rede bildlich zu verstehen. Es scheint nun allerdings diese Schlußfolgerung etwas für sich zu haben, doch die Wahrheit erweist sich selbst aus zahlreichen Zeugnissen; denn jede Redensart muß von dem betreffenden Eigenwesen aus verstanden werden. Vom Vater nun darf man nicht so [= von einer Seele] reden, weil er ja auch nicht Fleisch angenommen hat. Da hingegen die Menschwerdung sowohl von den Lucianisten als auch den Arianern zugestanden wird, so kann [beim Sohne] kein Zweifel obwalten. Aber, S. 62fahren sie fort, es heißt: „Das Wort ist Fleisch geworden“, und nicht: Das Wort ist Fleisch und Seele geworden. Gegen diesen von großer Unwissenheit zeugenden Einspruch erwidere ich, daß es in der Schrift heiße: „Gott .bildete den Menschen aus Erdenstaub“3 .. Geradeso, wie in dem Worte: „Er bildete“ alles zusammengefaßt wird, so liegt auch in dem Ausdrucke: Er ist „Fleisch“ geworden, alles enthalten. Es können ja auch wir den Irrlehrern mit dem gleichen Recht einen Einwurf machen und sagen: Sehet, die Hl. Schrift sagt nur: „Es bildete Gott den Menschen“, und es wird nicht angeführt, er machte ihm die Leber und die Lungen und das Herz und die Adern und die Nerven und alles übrige, was zum menschlichen Leibe gehört. Werden wir nun deshalb, weil die Schrift nicht im einzelnen genau die Teile, aus welchen der Mensch besteht, aufzählt, annehmen wollen, daß er ein massives, ungegliedertes Etwas gewesen sei? Sicherlich doch nicht. Wie also hier die Schrift in einem Begriff das einzelne zusammengefaßt hat, so kann man auch ganz klar aus der Annahme eines Leibes die einer Seele erschließen.
