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S. 139Wir wissen, daß Gott kein Ding unmöglich ist und er nicht nur einen Leib ohne Seele hervorbringen sondern auch die dahingeschwundenen Leiber wiederum beleben kann, und daß diese sich durch sich selbst bewegen ohne Seelen, wenn Gott will; wie ja Gott auch betreffs jener Gebeine bei Ezechiel eine solche Wirksamkeit geäußert hat. Denn er sprach zu dem Propheten: „Befiehl, Menschensohn, daß Gebein zu Gebein sich füge, und jedes Gelenk zu seinem Gelenke“1 . Und da konnte man die göttliche Allmacht schauen und bewundern; denn da noch die Seelen nicht eingegossen, sondern nur dürre Gebeine vorhanden waren, erhielten diese nicht nur die Fähigkeit sich zu bewegen auf Grund der Gottestat, sondern die Gebeine wurden auch mit einer Einsicht und Erkenntnis erfüllt, wie sie sonst nicht vorkommt. Denn jene Gebeine, welche zu den Füßen gehörten, fügten sich nicht etwa aus Vergessenheit in der Nähe des Kopfes ein, noch auch suchten die Halswirbel bei dem Fußknöchel den Ort, um sich dort anzupassen, sondern jedes der Gebeine bewegte sich und fügte sich ganz verständnisvoll an seinem Gelenke ein. Wenn also Gott will, so kann er auch Leiber ohne Seele erwecken. Diese seine Macht hat er ja gezeigt, indem er gerade jenes, woran bei den Menschen am meisten gezweifelt wird, zuerst belebte durch den angeführten Befehl bei Ezechiel. Darum hat er zu Ezechiel auch nicht gesagt: Befiehl, o Menschensohn, daß zuerst der Geist komme, sondern erst nachdem er das, was das Schwierigste zu sein scheint, vollbracht hatte, nämlich die Leiber zusammenzufügen, da erst befahl er, daß die Seelen zu ihren Leibern kommen. Und wirklich „erhob sich“, wie die Schrift sagt, „eine ungeheure Schar“. Ich sage also: Gott kann auch den Leib ohne Seele auferwecken, wie soeben gezeigt wurde, aber nicht, daß der Leib für sich allein gerichtet wird; denn auch er könnte eine wohlbegründete Verteidigung gegen das Gericht Gottes vorbringen und seinerseits sagen: Von jener Seele gingen alle Sünden aus, ich bin unschuldig2 . Denn S. 140ich habe seit der Trennung von ihr nicht gesündigt durch Ehebruch oder Unkeuschheit und Diebstahl. Nicht habe ich seither die Götzenbilder angebetet, keines von allen anderen Verbrechen begangen. Und so würde nach der Lehre jener streitbaren Herren das Gericht Gottes illusorisch. Wie daher Gott aus Seele und Leib in ihrer Verbindung einen Menschen erschaffen hat, so wird er auch als der gerechte Richter den Leib auferwecken und ihm seine Seele wieder vereinigen. So wird auch Gottes Gericht ein gerechtes sein, in dem beide teil haben, sei es nun an der Strafe für die Sünde oder an der Gottseligkeit der Tugend und an dem Lohne, der den Heiligen aufbewahrt ist.
