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Wie kann aber das Getauftwerden als Gerechtigkeit gelten? Die Gerechtigkeit bestand in dem Gehorsam gegen den Propheten. So wie der Herr sich beschneiden ließ, wie S. 68 er Opfer darbrachte, den Sabbath hielt, die jüdischen Festgebräuche beobachtete, so fügte er auch zu alle Dem hinzu, was noch fehlte: er gehorchte dem Propheten, der die Taufe ertheilte. Es war nämlich der Wille Gottes, daß sich damals Alle sollten taufen lassen. Höre nur, wie Johannes sagte: „Der mich gesandt hat, in Wasser zu taufen;“1 und wie Christus sagte: „Die Zöllner und das Volk haben Gott gerechtfertigt, indem sie getauft wurden mit der Taufe des Johannes; die Pharisäer und Schriftgelehrten aber haben den Willen Gottes verachtet, indem sie sich nicht von ihm taufen ließen.“2 Wenn also in dem Gehorsam gegen Gott die Gerechtigkeit besteht, und wenn ferner Gott den Johannes gesandt hatte, um das Volk zu taufen, dann hat Christus, indem er sich taufen ließ, ein Gebot erfüllt, wie er eben auch alle andern Vorschriften des Gesetzes erfüllte.
Denke dir die Vorschriften des Gesetzes als zweihundert Denare! Diese Schuld mußte unser Geschlecht bezahlen. Wir haben sie nicht bezahlt. So lange diese Schuld auf uns lastete, standen wir unter der Herrschaft des Todes. Als nun Christus kam, fand er uns in diesem Zustande der Knechtschaft; da hat er die Schuld bezahlt, unsere Verpflichtungen erfüllt und uns, die wir nicht zahlen konnten, gerettet. Deßhalb sagte er nicht: Es ziemt sich, daß ich Dieses oder Jenes thue, sondern: alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Für mich, sagt er, für den Herrn, der zahlen kann, ziemt es sich zu zahlen statt Derjenigen, welche es nicht können. Das ist die Ursache seiner Taufe; es sollte gezeigt werden, daß er das ganze Gesetz erfüllte. Dieser Grund reiht sich dem andern an, den ich eben besprochen habe. Aus diesem Umstande erklärt sich auch, weßhalb der heilige Geist in Gestalt einer Taube vom Himmel herabkommt. Wo nämlich der Mensch mit Gott versöhnt wird, da erscheint die Taube. Zur Arche Noe’s kam die Taube, welche S. 69 einen Ölzweig trug als Sinnbild der Güte Gottes und der Rettung nach der Sündfluth. So kommt auch hier der heilige Geist in Gestalt einer Taube (nicht in einer körperlichen Taube, Das muß man mit Bestimmtheit wissen und festhalten), um der Erde das Erbarmen Gottes zu verkünden und zugleich anzudeuten, daß der Mensch, soll der Geist Gottes in ihm herrschen, schuldlos, aufrichtig, frei von Bosheit sein muß. Sagt ja auch Christus: „Wenn ihr euch nicht bekehret und werdet wie die Kindlein, dann könnt ihr nicht in das Himmelreich eingehen.“3 Jene Arche blieb auf Erden, nachdem die Stürme der Sündfluth beschwichtigt waren; diese Arche dagegen, der reine und makellose Leib des Herrn, ward in den Himmel erhoben, nachdem der Zorn Gottes beschwichtigt war, und thronet nun zur Rechten des Vaters.
Doch—da ich eben den Leib des Herrn erwähnt habe, muß ich noch ein Weniges über diesen Leib zu euch reden, ehe ich schließe. Ich weiß, daß Viele unter uns, weil sie es eben an dem Festtage so in der Gewohnheit haben, zu diesem heiligen Tische hineilen werden. Allein, anstatt sich Festtage zum Empfange der heiligen Kommunion zu bestimmen, sollte man vielmehr die Seele reinigen und als dann dieses heilige Opfer genießen. Das habe ich auch früher schon oftmals gesagt. Wer unrein und mit Schuld beladen ist, der ist auch an Festtagen nicht in der rechten Verfassung, um sich dieses heiligen Leibes, der tiefe Ehrfurcht erheischt, theilhaftig zu machen. Wer aber rein ist und durch fleissige Buße seine Sünden abgewaschen hat, der ist an Festtagen und ist jederzeit würdig, an den göttlichen Geheimnissen Theil zu nehmen, und verdient es, sich der Gnade Gottes zu erfreuen. Aber Das wird leider von Manchen ausser Acht gelassen. Wenn sie sehen, daß das Fest herankommt, dann ist es, als ob das Fest sie drängt und treibt; und mögen sie auch mit tausend Sünden belastet S. 70 sein, nehmen sie gleichwohl Theil an den heiligen Geheimnissen, die sie ob ihrer Sündhaftigkeit nicht einmal anschauen dürften. Diejenigen, welche ich als Solche kenne, werde ich selbst durchaus abweisen; die ich aber nicht kenne, die überlasse ich dem Urtheil Gottes, der die Herzen Aller kennt bis in ihre geheimsten Falten.
Demjenigen Fehler wenigstens, der ganz allgemein und öffentlich begangen wird, will ich heute versuchen entgegenzuwirken. Was für ein Fehler ist das? Daß man nicht mit tiefer Ehrfurcht hinzutritt, sondern vielmehr voll Zorn und Aufregung, schlagend und mit den Füßen stoßend, unter Schreien und Schimpfen, die Zunächststehenden drängend und überhaupt in großer Unordnung. Das habe ich oft gesagt, und nie werde ich ablassen es zu sagen. Habt ihr noch nie bei den olympischen Spielen gesehen, welch’ eine Ordnung herrscht, wenn der Kampfrichter in seiner Amtstracht, den Kranz auf dem Haupt, den Stab in der Hand, über das Forum daherschreitet, und wenn dann der Herold ruft, man solle Ruhe und Anstand beobachten? Ist Das nun nicht ganz unsinnig, daß eine solche Stille herrscht, wo der Teufel seine Triumphe feiert, dagegen Lärm und Durcheinander, wo uns Christus zu sich ruft? auf dem Markte Schweigen, in der Kirche Geschrei? auf dem hohen Meere Ruhe und im Hafen tobende Wogen? Warum bist du so aufgeregt, du Mensch? Warum eilest du? Rufen dich durchaus nothwendige Geschäfte? Wie? Weißt du denn überhaupt in diesem Augenblicke, daß du Geschäfte hast? Denkst du überhaupt daran, daß du auf Erden bist? Glaubst du unter Menschen zu sein? In diesem Augenblicke glauben, auf der Erde zu sein und nicht in dem Reigen der Engel, mit denen du jenes heilige Lied emporgesandt, mit denen du dem Herrn jenen Siegesgesang dargebracht, — Das verräth wahrlich ein Herz von Stein. Adler hat uns der Herr genannt, indem er sagte: „Wo der Leichnam ist, da versammeln sich die Adler.“4 So hat er S. 71 uns genannt, damit unser Wandel im Himmel sei, damit wir uns hoch erheben auf den Schwingen des Geistes. Wir aber kriechen am Boden und fressen Staub wie die Schlangen. Soll ich euch sagen, woher der Lärm und das Schreien entsteht? Daher, daß wir nicht während des ganzen Gottesdienstes die Thüren verschlossen halten und euch nicht verwehren, daß ihr euch vor dem letzten Dankgebet entfernet und nach Hause geht, — was auch wieder ein Zeichen von großer Geringschätzung ist. Was machst du, o Mensch? Während Christus zugegen ist, die Engel ihm zur Seite stehen, während dieses heilige Gastmahl, dem man nur mit tiefer Ehrfurcht nahen darf, uns noch vorgesetzt ist, während deine Brüder noch zu den heiligen Geheimnissen hinzugeführt werden, eilest du von dannen! Gesetzt, du seist zu einem Gastmahle geladen, dann erlaubst du dir nicht, magst du immerhin schon vorher gesättigt sein, während die Übrigen noch zu Tische sitzen, vor den Freunden wegzugehen; und während hier die wahrhaft furchtbaren Geheimnisse Christi gefeiert werden, während der heilige Dienst noch fortdauert, nachdem Alles erst halb vollendet ist, scheidest du aus und gehst fort? Wie könnte ein solches Thun billiger Weise Nachsicht finden? Wie wäre es auch nur zu entschuldigen? Soll ich euch sagen, in wessen Fußtapfen Diejenigen eintreten, welche sich vor dem Schluß entfernen und nach dem heiligen Mahle die Danksagungspsalmen nicht beifügen? Vielleicht ist es hart, was ich sagen will, aber es muß gesagt werden wegen der vielfach einreissenden Lauigkeit. Es war Judas, der nach der Theilnahme am letzten Abendmahle in jener letzten Nacht, während alle Andern noch zu Tische saßen, sich früher entfernte und hinwegging; ihm also ahmen auch jene Christen nach, welche vor dem letzten Dankgebet hinwegeilen. Wäre er nicht hinausgegangen, so wäre er nicht zum Verräther geworden; hätte er nicht die Mitapostel verlassen, so wäre er nicht zu Grunde gegangen; hätte er sich nicht von der Heerde abgesondert, so würde ihn der Wolf nicht ohne Schutz und Begleitung gefunden und zerrissen haben, und S. 72 hätte er sich nicht vom Hirten getrennt, so würde er nicht eine Beute der Raubthiere geworden sein. Daher hielt sich Dieser zu den Juden, die andern Apostel aber gingen mit dem Herrn unter Psalmengesang hinaus. Siehst du? Was hier geschah, davon sieht man jedesmal ein neues Abbild beim Schlußgebet nach dem heiligen Opfer. Und nun, meine Theuern, laßt uns Das wohl erwägen und beherzigen und das Gericht fürchten, das einer solchen Sünde wartet. Er gibt dir sein Fleisch — und du willst ihm nicht einmal mit Worten vergelten? Du dankest nicht einmal für Das, was du empfangen hast? Wenn du Leibesnahrung zu dir nimmst, dann verrichtest du nach Tisch ein Gebet; wenn dir aber diese Seelenspeise gereicht wird, welche die ganze sichtbare und unsichtbare Schöpfung an Würde und Erhabenheit weit überragt, während du doch nur ein Mensch d. h. ein geringes und hinfälliges Geschöpf bist, dann wartest du nicht, um in Worten und Werken zu danken? Das verdient in der That eine äusserst strenge Strafe. Dieß sage ich nun aber nicht, damit ihr mir bloß Lob spendet und lauten Beifall ruft, sondern damit ihr seiner Zeit an diese Worte denket und die geziemende Ordnung beobachtet. Ein Geheimniß wird dieses heilige Mahl genannt, und ein Geheimniß ist es auch; wo aber Geheimnisse gefeiert werden, da herrscht eine große Stille. Laßt uns deßhalb in tiefem Schweigen, in gehöriger Ordnung, mit geziemender Ehrfurcht an diesem heiligen Opfer Theil nehmen, damit wir im Wohlgefallen Gottes steigen, unsere Seelen ganz entsündigen und der ewigen Güter theilhaftig werden. Möchten wir alle in den Besitz dieser Güter gelangen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus! Ihm und zugleich dem Vater und dem heiligen Geiste gehört die Herrlichkeit, Macht und Anbetung, jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.