4.
Beachte auch, mit welchem Nachdruck der Herr dies ausspricht. Er sagt nicht: Selig sind diejenigen, die festhalten an der Gerechtigkeit, sondern: „Selig diejenigen, die Hunger und Durst leiden nach der Gerechtigkeit.“ Wir sollen eben nicht bloß so einfachhin der Gerechtigkeit nachgehen, sondern dabei Eifer und großes Verlangen zeigen. Das ist ja auch ein ganz besonderes Merkmal der Habsucht. Ja, nicht einmal nach Speise und Trank haben wir ein so heftiges Verlangen, wie nach Erwerb und größerem Besitz. Mit ebenso großem Verlangen hieß uns nun der Herr nach jener Tugend streben, die der Habsucht entgegengesetzt ist. Dann bestimmt er auch hier wieder die zeitliche Belohnung: „denn sie werden gesättigt werden“. Da nämlich die meisten glauben, Gewinnsucht mache reich, so stellt er fest, dass das Gegenteil davon der Fall ist; denn1 die Gerechtigkeit vermag dies zu erreichen. Fürchte also nicht, durch rechtschaffenes Handeln arm zu werden, und habe keine Angst, deswegen Hunger leiden zu müssen. Gerade die Diebe und Räuber verlieren am ehesten all das, was sie haben, während der, der die Rechtschaffenheit liebt, all sein Eigentum in Ruhe und Sicherheit genießen kann. Wenn aber schon jene, die nicht nach fremdem Gute trachten, solchen Reichtum erlangen, um wieviel mehr diejenigen, die ihren eigenen Besitz freiwillig dahingeben?
V.7: „Selig sind die Barmherzigen.“
Hier scheint mir der Herr nicht bloß diejenigen im Auge zu haben, die mit ihrem Gelde, sondern auch jene, die mit ihren Taten Barmherzigkeit üben. Es gibt ja gar verschiedene Arten, barmherzig zu sein, und weit und umfassend ist dieses Gebot. Welches ist also dann der Lohn dafür? „Denn die werden Barmherzigkeit erlangen.“ Diese Gegengabe scheint zwar nur S. 247gleichwertig zu sein, und doch ist sie weit mehr wert, als das gute Werk. Denn die Barmherzigen üben nur menschliches Erbarmen, aber finden dafür solches bei Gott, dem Herrn aller Dinge. Menschliches und göttliches Erbarmen stehen aber nicht auf einer Stufe, sondern soweit das Böse vom Guten absteht, so groß ist der Unterschied zwischen diesem und jenem.
V.8: „Selig sind diejenigen, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott anschauen.“
Da hast du wieder eine geistige Belohnung. Unter „rein“ versteht aber hier Christus entweder diejenigen, die in jeder Hinsicht tugendhaft sind und keinerlei Sünde auf dem Gewissen haben; oder jene, die in Enthaltsamkeit leben. Keine Tugend haben wir ja so notwendig, um Gott zu schauen, als gerade die Reinheit des Herzens. Darum sagte auch der hl. Paulus: „Suchet den Frieden mit allen und die Heiligkeit, ohne die niemand den Herrn schauen wird“2 . Das „Schauen“ meint er hier, insoweit es dem Menschen möglich ist. Da nämlich viele zwar Almosen geben, nicht stehlen und nicht habsüchtig sind. dagegen die Ehe brechen und Unkeuschheit treiben, so wollte er zeigen, dass das erstere nicht genügt; darum fügte er auch diese Seligpreisung hinzu. So bezeugt auch der hl. Paulus den Mazedoniern in seinem Brief an die Korinther, sie hätten nicht bloß durch ihre Almosen sich ausgezeichnet, sondern auch durch die andere Tugend. Nachdem er nämlich davon geredet, wie freigebig sie mit ihrem Gelde seien, sagt er: „Ja, sogar sich selbst haben sie dem Herrn und uns geschenkt“3 .
V.9: „ Selig die Friedfertigen.“
Mit diesen Worten verbietet Christus nicht nur Zwiespalt und gegenseitige Feindschaft, sondern verlangt noch mehr, dass wir nämlich andere, die entzweit sind, wieder versöhnen. Auch dafür stellt er eine S. 248geistige Belohnung in Aussicht. Und was für eine? „Denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ Das ward ja die Aufgabe des Eingeborenen, das Zwiespältige zu vereinigen, und das zu versöhnen, was sich bekämpfte. Und damit du nicht glaubest, der Friede sei überall etwas Gutes, fügte er hinzu:
V.10: „Selig diejenigen, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen“, das heißt ihrer Tugendhaftigkeit wegen, weil sie besser und gottesfürchtiger sind als andere. Mit dem Worte „Gerechtigkeit“ pflegt er nämlich immer das allseitige Tugendleben der Seele zu bezeichnen.
V.11: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen, und lügnerisch alles Schlechte gegen euch sagen um meinetwillen.
V.12: Freuet euch und frohlocket!“
Zum Beispiel, will er sagen, wenn sie euch auch Zauberer nennen, Betrüger, Verführer, oder was immer sonst, selig seid ihr. Könnte es wohl eine größere Neuerung geben, als diese Vorschriften, durch die er gerade das als begehrenswert hinstellt, wovor die anderen zurückschrecken, das ist: Armut, Buße, Verfolgung, üble Nachrede? Aber dennoch hat er es ausgesprochen, und fand Gehör, nicht bloß bei zwei oder zehn, zwanzig, hundert oder tausend Menschen, sondern in der gesamten Welt. Und als die Volksscharen diese Dinge hörten, die doch schwer und unangenehm sind, und der Gewohnheit der meisten Menschen zuwiderlaufen, da wurden sie erschüttert. So groß war die Gewalt seiner Rede.