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Auch David hat alles Leid verziehen, das ihm angetan worden; nur für die erlittenen Schmähungen erbat er von Gott Genugtuung. „Lass ihn“, sagte er, „seine Verwünschungen ausstoßen, weil der Herr es ihm so befohlen, auf dass der Herr meine Erniedrigung sehr, und mit Genugtuung verschaffe für die Verwünschung, die mir heute widerfahren ist“1 . Ebenso lobt der hl. Paulus nicht bloß jene, die in Gefahren sind und ihr Hab und Git vberloren, sondern auch diese, indem er also schreibt: „Denket zurücj an die früheren Tage, da ihr das Licht empfangen und einen schweren Kampf voll Leiden zu erdulden hattet, indem ihr ob der erlittenen Schmähungen und Prüfungen zum Schausspiel gheworden seid“2 . Aus diesem Grunde also hat auch Christus einen großen Lohn dafür verheißen. Es soll auch niemand sagen können:Hier strafst du nicht und bringst die Bösen nicht zum Schweigen, erst dort willst du die Guten belohnen? Deshalb hat er die Propheten erwähnt, um zu zeigen, dass Gott auch im Alten Bunde nicht gleich gestraft hat. Wenn Gott aber schon damals, als die sofortige Vergeltung das Gewöhnliche war, sie auf die Zukunft vertröstete, so ist dies um so mehr jetzt am Platz, wir diese Hoffnung viel deutlicher und das religiöse Bewusst sein viel stärker geworden ist.
S. 253Beachte aber auch, nach wie vielen Geboten erst der Herr solches verheißen hat. Er hat dies nämlich nicht bloß so einfachhin getan, sondern hat deutlich zu verstehen gegeben, dass derjenige, der nicht zu all dem bereit und gerüstet ist, unmöglich sich diesen Kämpfen unterziehen kann. Darum hat er im stetem Fortschreiten von einem Gebot zum anderen uns gleichsam eine goldene Kette geschmiedet. Wer nämlich demütig ist, wird auch seine eigenen Sünden von Herzen bereuen; wer aber reumütig ist, wird auch sanftmütig sein und gerecht und barmherzig; wer aber barmherzig, gerecht und zerknirschten Sinnes ist, der wird auch durchaus reinen Herzens sein: und wer das ist, wird auch friedfertig sein. Wer sodann alle diese Tugenden sich angeeignet hat, der wird auch gegen Verfolgungen gerüstet sein, und nicht die Fassung verlieren, wenn er schlecht von sich reden hört und zahllose Leiden zu ertragen hat.
Nachdem also der Herr ihnen die entsprechenden Mahnungen erteilt hat, ermutigt er sie auch wieder durch Lob. Da nämlich seine Gebote si erhaben waren, viel mehr als im Alten Testament, so wollte er nicht, dass sie darob beunruhigt und bestürzt würden, und sagte: Wie können wir solches vollbringen? Höre darum, was er weiter sagt:
V.13: „ Ihr seid das Salz der Erde.“
Damit zeigt er, dass er nur aus Notwendigkeit solche Gebote gegeben hat. Denn nicht bloß für die Dauer eures eigenen Lebens, will er sagen, sondern für das ganze Menschengeschlecht ist euch die Verkündigung des Wortes anvertraut. Ich sende euch nicht in zwei Städte, oder in zehn oder hundert, auch nicht zu einem einzigen Volk, wie die Propheten, sondern über Land und Meer, über die ganze Welt und zwar eine schlechte Welt. Mit den Worten: „Ihr seid das Salz der Erde“ zeigt er nämlich, dass die gesamte Menschheit schal geworden und von der Sündenfäulnis angesteckt war. Das ist der Grund, weshalb er von den Aposteln gerade solche Tugenden verlangt, die ganz besonders bei der Leitung3 der großen Massen notwendig und nützlich sind. Wer nämlich sanftmütig ist, bescheiden, S. 254barmherzig und gerecht, der beschränkt seine guten Werke4 nicht bloß auf sich selbst, sondern sorgt dafür, dass diese kostbaren Quellen auch zun Nutzen anderer fließen. Ebenso wird auch der, der reinen Herzens ist und friedfertig, und um der Wahrheit willen Verfolgung leidet, sein Leben so einrichten, dass es zum Nutzen aller dient.Glaubet also nicht, sagt Christus,dass ihr zu leichten und alltäglichen Kämpfen gerufen werdet, und dass es sich für euch um unbedeutende Dinge handle, nein: „Ihr seid das Salz der Erde.“ Nun, und dann? Haben sie vielleicht wiederhergestellt, was schon in Fäulnis übergegangen war? Ganz und gar nicht. Was einmal verdorbenm ist, kann unmöglich mehr etwas nützen, auch wenn man Salz daraufstreut.Das haben sie also nicht getan; vielmehr haben sie nur das, was vorher erneeuert und dann ihnen anvertraut worden und was von jener Fäulnis befreit gebnlöieben, mit Salz vermischt, und haben es so in jener Frische und Kraft erhalten und bewahrt, die sie selbst vom Herrn empfangen hatten. Von der Fäulnis der Sünden zu befreien, war ja Aufgabe und Werk Christi; hingegen niemand mehr in sie zurückfallen zu lassen, hing von ihrem Eifer und ihrer Bemühung ab.
Siehst du da, wie der Herr den Aposteln allmählich zu erkennen gibt, dass sie sogar über den Propheten stehen? Er macht sie ja nicht bloß zu Lehrern von Palästina, sondern zu solchen der ganzen Welt, und dazu nicht bloß zu einfachen Lehrern, sondern zu solchen, die auch gefürchtet waren. Das Wunderbare an der Sache ist nämlich dies, dass sie die Gunst aller gewonnen, nicht durch Schmeicheleien und Augendienerei, sondern dadurch, dass sie beizend wirkten wie Salz. Wundert euch also nicht, will Christus sagen, dass ich die andern außeracht lasse und nur zu euch rede und euch solchen Gefahren entgegensende. Denn erwäget,in wie viele Städte, zu wie vielen Stämmen und Völkern ich euch als Vorsteher senden will. Deshalb sollt ihr nicht bloß klug sein, sondern auch andere klug machen. Denen aber eine solche Aufgabe anvertraut ist, die müssen große Einsicht besiten, denn von ihnen hängt auch das Seelenheil der anderen ab. So stark muss darum S. 255die Macht der Tugend in ihnen sein, dass sie dadurch auch auf andere heilsamen Einfluss ausüben. Wenn also eure Tugend nicht so stark wird, so habt ihr sie selbst nicht in genügendem Maße.