1.
V.21: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr, wird in das Himmelreich eingehen, wohl aber, wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist.“
Weshalb sagte der Herr nicht: Wohl aber, der meinen Willen tut? Weil das die Juden vorläufig noch lieber hörten. Das andere wäre für diese schwachen Seelen schon viel zu stark gewesen. Übrigens hat er auch das zweite durch das erste angedeutet. Außerdem muss man auch betonen, dass der Sohn keinen anderen Willen hat als der Vater. Hier scheint mir aber Christus besonders die Juden im Auge zu haben, die das Hauptgewicht auf ihre Lehrmeinungen legten, dagegen um das sittliche Leben sich wenig kümmerten. Deshalb tadelt sie auch der hl. Paulus mit den Worten: „Siehe, du trägst den Namen eines Juden und beruhigst dich mit dem Gesetz; du rühmst dich in Gott und kennst seinen Willen“1 . Deshalb hast du aber gar nichts vor anderen voraus, wenn dein Leben und deine Werke nicht dementsprechend sind. Christus hingegen blieb dabei nicht stehen; er sagte noch viel mehr:
V.22: „Denn es werden an jenem Tage viele zu mir sagen; Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt?“
Damit will er sagen: Nicht bloß derjenige, der zwar den Glauben hat, aber nicht nach dem Glauben lebt, wird vom Himmelreich ausgeschlossen, sondern wenn einer auch einen Glauben hätte, dass er noch viele Wunder dazu wirkte, aber nichts Gutes täte, auch ein solcher würde aus jenen heiligen Hallen des Himmels S. d336 ausgewiesen. „Denn viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt?“ Siehst du da, wie Christus nach Vollendung seiner Predigt in verborgener Weise auch von sich selber redet, und sich in seiner Eigenschaft als Richter zeigt? Denn, dass die Sünder Strafe erwartet, hat er schon im vorausgehenden dargelegt. Wer aber derjenige sei, der da straft, das offenbart er erst jetzt. Doch sagte er nicht offen heraus: Ich bin es, sondern: „Viele werden zu mir sagen“, womit er dasselbe erreichte. Denn, wenn er nicht selbst der Richter wäre, wie hätte er zu ihnen sagen können:
V.23: „Und dann werde ich ihnen erwidern: Weichet zurück von mir, ich habe euch nie gekannt!“
Das heißt: Nicht nur im Augenblick des Gerichtes kenne ich euch nicht, sondern ich kannte euch auch damals nicht, als ihr Wunder gewirkt habt. Deshalb sagte er auch zu seinen Jüngern: „Freuet euch nicht darüber, dass euch die Dämonen untertan sind, sondern darüber, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind“2 . Auch sonst heißt uns der Herr überall unsere Lebenszeit recht gut benützen. Es ist ja nicht möglich, dass ein Mensch, der rechtschaffen lebt und sich von allen Leidenschaften freigemacht hat, jemals unbeachtet bleibe. Im Gegenteil, wenn er auch zufällig einmal vom rechten Wege abgeirrt wäre, so würde in Gott doch alsbald wieder auf denselben zurückführen. Indes gibt es Leute, die da behaupten, jene3 hätten diese Worte nur aus Verstellung gebraucht, und deshalb seien sie auch nicht gerettet worden. Demnach hätte aber der Herr das Gegenteil von dem getan, was er eigentlich beabsichtigt hatte. Er wollte ja hier zeigen, dass der Glaube nichts nützt ohne die Werke. Diesen Gedanken führte er dann noch weiter aus und kam so auf die Wundertaten zu sprechen; er wollte dadurch zeigen, dass nicht bloß der S. d337 Glaube, sondern selbst die Wunderwerke dem Wundertäter nichts nützen ohne die Tugend. Wenn aber jene keine Wunder gewirkt hätten, wie konnte dann der Herr diese beiden Dinge zusammenstellen? Außerdem würden sie es im Angesicht des Gerichtes überhaupt nicht wagen, so zu ihm zu reden. Auch beweist die Antwort selbst, sowie der Umstand, dass sie auf eine Frage hin redeten, dass sie wirklich Wunder gewirkt hatten. Da sie nämlich sahen, wie der Ausgang nicht ihren Erwartungen entsprach, und dass sie hienieden ob ihrer Wunderwerke von allen bewundert wurden, während sie dort sich der Strafe überantwortet sehen, so sagen sie, wie von Schrecken und Verwunderung erfüllt: Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Warum verwirfst du uns also jetzt? Wie soll man dieses befremdende und merkwürdige Ende verstehen?
Indes, wenn jene sich darüber verwunderten, dass sie trotz solcher Zeichen und Wunder der ewigen Strafe überliefert werden, so wundere doch du dich darüber nicht. Denn die Wundergabe ist ausschließlich ein Geschenk dessen, der sie verleiht; jene haben nichts von ihrem Eigenen dazugetan. Darum verdienen sie auch Strafe, weil sie gegen den undankbar und unerkenntlich waren, der sie doch so ehrte, dass er ihnen trotz ihrer Unwürdigkeit die Wundergabe verlieh. Wie kommt es aber dann, fragst du, dass sie solche Wundertaten verrichteten, obgleich sie Sünden begangen haben? Einige sagen da, sie hätten nicht zu der Zeit gesündigt, in der sie solche Wundertaten verrichteten, sondern erst später seien sie verdorben worden und hätten sich der Sünde zugewandt. Indessen, wenn das so wäre, so hätte der Herr wiederum das nicht erreicht, was er eigentlich beabsichtigte. Was er nämlich zeigen wollte, ist dies: Weder Glaube noch Wunderwerke haben einen wirklichen Wert, wenn das rechte Leben fehlt. Dasselbe sagt ja auch der hl. Paulus: „Wenn ich auch Glaube besäße, so dass ich Berge versetzen könnte, und wenn ich auch alle Geheimnisse und alle Wissenschaft besäße, habe aber die Liebe nicht, so bin ich nichts“4 . S. d338 Wer sind also dann diese Leute, fragst du? Viele von denen, die glaubten, haben Charismen erlangt, so z.B. derjenige, der die Teufel austrieb, aber doch nicht mit dem Herrn war5 , wie z.B. Judas; auch er hatte ja trotz seiner Schlechtigkeit ein Charisma. Ebenso kann man auch im Alten Testamente beobachten, dass die Gnade oft in unwürdigen Werkzeugen wirkte, um anderen zu nützen. Da sich eben nicht alle für alle eigneten, sondern die einen ein reines Leben führten aber keinen so starken Glauben hatten, während es bei den anderen umgekehrt war, so ermahnt Gott jene durch diese, sie sollten einen starken Glauben an den Tag legen, und fordert diese auf, um solch unaussprechlicher Gabe6 willen bessere zu werden.