5.
Die meisten Menschen pflegen im Anfang stark zu sein; nachher aber werden sie schwach. Deshalb sagt der Herr: „Ich schaue auf das Ende.“ Oder was nützt S. d484 der Same, der im Anfang blüht, aber bald darauf verdorrt? Darum verlangt der Herr von seinen Jüngern hinlängliche Beharrlichkeit. Es sollte nämlich niemand sagen, er allein habe alles gemacht und es sei darum nicht zu verwundern, dass die Apostel so mutig seien; sie hätten ja ohnehin nichts Schweres zu tragen gehabt. Deshalb sagt er zu ihnen: Auch eure Standhaftigkeit ist vonnöten. Denn wenn ich euch auch aus den ersten Gefahren befreite, ich habe für euch noch andere und schwerere vorbehalten und auf diese werden wiederum andere folgen, und an Widersachern wird es euch nicht fehlen, solange ihr atmet. Das deutet der Herr an mit den Worten: „Wer bis ans Ende verharrt, wird gerettet werden.“ Und wenn er gesagt hat: „Seid nicht in Sorge, was ihr reden werdet“, so fügt er anderswo hinzu: „Seid bereit, jedem zu antworten, der euch fragt über die Hoffnung, die in euch ist“1 . Solange sich der Wettkampf nur unter Freunden abspielt, will er, dass auch wir selber für das Rechte sorgen; wo es sich aber um den furchtbaren Richterstuhl handelt, um wild aufgeregte Volksmassen, um Angst und Bangigkeit von allen Seiten, da tritt der Herr für uns ein, damit wir voll Mut und Vertrauen redeten, uns nicht einschüchtern ließen und die Gerechtigkeit nicht preisgäben. Ja, es war ein großes, erhabenes Schauspiel, die Männer zu sehen, die an Seen ihr Gewerbe ausgeübt, mit Häuten und Zolltischen sich abgegeben hatten. Da sitzen die Machthaber, da stehen vor ihnen die Heerführer und Speerträger; es sind die Schwerter entblößt und alles steht auf ihrer Seite. Dann kommen sie herein2 , allein, gebunden, gebeugt: und doch haben sie die Kraft und den Mut, den Mund zu öffnen! Man wollte ihnen ja nicht einmal erlauben, über ihre Lehren frei zu reden und sie zu verteidigen, sondern gedachte sie wie gefährliche Weltverderber dem Tode zu überantworten. „Sie sind es“, sagen sie, „die den ganzen Erdkreis in Aufruhr bringen, und da stehen sie.“ Und ebenso: „Sie predigen gegen die Satzungen des Kaisers und behaupten, Christus sei König“3 . Und überall hatten sich die Gerichtshöfe S. d485 mit solchen Anklagen zu beschäftigen. Es bedurfte daher gar sehr der Kraft von oben, um diese beiden Punkte zu beweisen; erstens, dass die Lehren wahr seien, die sie verkündeten, und zweitens, dass sie sich durchaus nicht gegen die öffentlichen Gesetze verfehlten; dass außerdem der Eifer, mit dem sie ihre Lehren verkündeten, sie nicht in den Verdacht brächte, die Gesetze umstürzen zu wollen, und dass sie andererseits ihre Lehrpflicht nicht verletzten durch ihr Bemühen, zu zeigen, dass sie die öffentliche Ordnung nicht antasten wollen. Da kannst du sowohl bei Petrus als auch bei Paulus wie bei allen anderen Aposteln sehen, wie sie all diesen Rücksichten mit entsprechender Einsicht gerecht wurden. Sie wurden auf dem ganzen Erdkreis als Aufwiegler, als Unruhestifter und Neuerer verschrien; gleichwohl haben sie auch diese Anklage widerlegt und bewiesen, dass sie das Gegenteil davon waren, dass sie von allen als Retter, als Beschützer und Wohltäter gepriesen würden. Das alles brachten sie aber durch ihre große Beharrlichkeit zustande. Darum sagt auch Paulus: „Jeden Tag sterbe ich“4 . Und bis zu seinem Tode befand er sich fortwährend in Gefahren.
Was verdienen nun da wir, wenn wir, mit solchen Beispielen vor Augen, mitten im Frieden verweichlichen und zu Fall kommen? Wir verlieren das Leben, obwohl niemand gegen uns kämpft; wir werden besiegt, obgleich niemand uns verfolgt; wir sollen im Frieden unser Heil wirken, und nicht einmal das bringen wir zustande! Während bei ihnen der ganze Erdkreis in Flammen stand und das Feuer über die ganze Welt hinloderte, da gingen sie mitten hinein und retteten die brennenden Menschen aus dem Feuer. Du aber vermagst nicht einmal dich selbst zu retten! Welche Entschuldigung bleibt uns also noch? Welche Nachsicht verdienen wir? Uns bedrohen weder Geißelhiebe noch Kerkerverließe, weder Könige noch Juden, noch irgend etwas Derartiges; ganz im Gegenteil, wir sind es, die befehlen, und herrschen. Wir haben gottesfürchtige Kaiser, den Christen werden alle Ehren erwiesen; sie S. d486 erhalten die hohen Ämtern sie genießen Ruhm und Freiheit! Aber trotz alldem tragen wir keine Siege davon! Damals wurden die Christen tagtäglich zum Tode geführt, sowohl Priester als Laien, waren stets mit unzähligen Striemen und Wunden bedeckt; aber dennoch genossen sie mehr Glück und Freude als die Bewohner des Paradieses. Wir hingegen können solche Leiden nicht einmal im Traume ertragen und sind viel weicher als Wachs. Ja, sagst du, jene haben aber auch Wunder gewirkt. Nun, sind sie vielleicht deshalb nicht gegeißelt worden? Wurden sie deshalb nicht zum Tode geführt? Gerade darin liegt ja das Auffallende, dass sie solche Dinge sogar von jenen zu erdulden hatten, denen sie Wohltaten erwiesen, und dass sie auf diese Weise Böses für Gutes erfuhren. Wenn aber du jemand auch nur eine kleine Gefälligkeit erwiesen hast und nachher irgendeine Widerwärtigkeit von ihm erfährst, wirst du gleich verwirrt, verlierst die Ruhe und bereust das, was du ihm getan hast.