4.
Wo sind da jetzt diejenigen, die immer nach Wundern verlangen? Sie mögen wissen, dass es die gute Gesinnung ist, die nottut. Wo diese nicht ist, da helfen auch Wunder nichts. Sieh nur! Die Niniviten haben auch ohne Wunder geglaubt; die Juden dagegen sind auf so zahlreiche Wundertaten hin nur noch schlechter geworden, haben sich selbst zu einer Wohnstätte unzähliger Dämonen gemacht und sich ein namenloses Unheil zugezogen; und es geschah ihnen recht. Denn wer einmal von seinen Übeln befreit, aber doch nicht klüger geworden ist, der wird eben noch viel Schlimmeres erfahren als zuvor. Deshalb sagt auch der Herr: "Der Dämon findet keine Ruhe." Er will damit zeigen, dass der Teufel mit seinen Nachstellungen einen solchen Menschen vollständig und notwendigerweise in Besitz nehmen wird. Diese beiden Dinge hätten ihn ja weise machen sollen: die früheren Leiden und die nachherige Befreiung davon; ja noch ein Drittes kommt dazu: die Drohung, noch Schlimmeres erfahren zu müssen. Gleichwohl vermochte nichts von all dem, sie zu bessern. Das alles dürfen aber mit Recht nicht bloß sie, sondern auch wir selbst uns gesagt sein lassen, wenn wir nach der Taufe und nach der Befreiung von all dem früheren Bösen wieder in denselben sündhaften Zustand zurückfallen. Denn fortan werden wir für die Sünden, die wir nach der Taufe begehen, viel empfindlicher gestraft werden. Deshalb sagte auch Christus zu dem Gichtbrüchigen: "Siehe, du bist gesund geworden; sündige nun nicht mehr, S. d623 damit dir nicht noch etwas Schlimmeres widerfahre"1 ; ebenso sprach er zu jenem Manne, der achtunddreißig Jahre in seiner Krankheit zugebracht hatte. Aber, fragst du, was konnte ihm noch Schlimmeres zustoßen als dieses? Etwas viel Schlimmeres und Schwereres. Möchten wir nur nie in die Lage kommen, soviel dulden zu müssen, als wir nur überhaupt zu leiden imstande sind. Wenn Gott strafen will, so weiß er schon Mittel und Wege zu finden; denn der Größe seines Erbarmens entspricht die Größe seines Zornes. Diesen Vorwurf erhebt er auch durch Ezechiel gegen Jerusalem. "Denn ich sah dich", heißt es, "mit Blut besudelt; ich habe dich gewaschen und gesalbt und man hat dich gerühmt ob deiner Schönheit; du aber hast Unzucht getrieben mit deinen Nachbarn"2 ; deshalb droht dir auch viel Schlimmeres für deine Sünden.
Doch solltest du deswegen nicht bloß an die Strafen denken, sondern auch an die grenzenlose Langmut Gottes. Wie oft haben wir denn nicht schon dieselben Sünden begangen und doch übt er noch Geduld! Seien wir aber deshalb nicht voll Zuversicht, sondern vielmehr in Furcht. Denn hätte sich Pharao durch die erste Plage belehren lassen, so hätte er nicht auch die anderen über sich ergehen lassen müssen, und er wäre nicht zuletzt mitsamt seinem Heere in den Fluten umgekommen. Das sage ich aber, weil ich viele kenne, die auch jetzt noch mit Pharao sprechen: "Ich kenne diesen Gott nicht", und die ihre Untergebenen ebenfalls mit Lehm und Ziegelmachen quälen. Wie viele, denen Gott befohlen, von ihren Drohungen abzustehen, nehmen sich nicht einmal die Mühe, die schwere Arbeit etwas zu mildern? Aber man braucht ja jetzt das Rote Meer nicht mehr zu durchschreiten. Dafür harrt deiner ein Meer von Feuer, ein Meer, das nicht dem Roten Meer gleicht und nur so groß ist, wie dieses, nein, eines, das viel größer und schrecklicher ist, in dem die Wogen aus Feuer bestehen und zwar aus einem ganz eigenartigen, furchtbaren Feuer. Da ist eine gewaltige S. d624 Untiefe voll schrecklicher Glut. Da kann man die Flammen gleich wilden Tieren all überall umherzischen sehen. Wenn schon hienieden dieses sinnliche und materielle Feuer gleich einem wilden Tiere aus dem Ofen hervorbrach und sich auf diejenigen stürzte, die draußen standen3 , was wird erst denen geschehen, die in dieses Feuer hineinfallen? Höre nur, was über jenen Tag die Propheten sagen: "Der Tag des Herrn, der rettungslose, der überfließt von Grimm und Zorn"4 . Da wird keiner und beistehen, keiner uns retten; da wird nirgends das milde, leuchtende Antlitz Christi zu schauen sein. Diejenigen, die in den Bergwerken arbeiten müssen, die werden harten Menschen übergeben und können niemand von ihren Angehörigen sehen, sondern nur ihre Aufseher; geradeso wird es auch da gehen; oder vielmehr nicht bloß so, sondern noch viel schlimmer. Im ersten Fall ist ja noch die Möglichkeit vorhanden, zum Herrscher zu gehen, ihm eine Bittschrift zu unterbreiten, und so den Verurteilten die Befreiung zu erwirken; dort ist dies nicht mehr möglich.5 , kommt nicht mehr los. Die bleiben in solchen Schmerzen und solchen Qualen, wie es mit Worten nicht auszudrücken ist. Denn wenn schon die heftigen Schmerzen derer, die von irdischem Feuer verbrannt werden, niemand zu beschreiben vermag, dann noch viel weniger die Schmerzen derer, die in der anderen Welt zu leiden haben. Hier ist ja das Ganze in kurzer Zeit vorüber; dort aber wird man zwar gebrannt, aber das Brennen nimmt kein Ende.
Was werden wir also dort tun? Ich stelle diese Frage mir selbst. Ja, sagst du, wenn du, der Lehrmeister, so von dir sprichst, dann mach ich mir keine weiteren Sorgen darum. Aber, was wäre es denn zu verwundern, wenn ich gestraft würde? Ich bitte euch, niemand möge darin einen Trost suchen. Darin liegt für euch keine Beruhigung. Sage mir doch: War nicht der Teufel ein mächtiger Geist? War er nicht besser als die Menschen? Und doch ist er gefallen. Wird jedoch S. d625 irgend jemand darin einen Trost finden, zugleich mit ihm gestraft zu werden? Keinesfalls. Und wie ging es all den Bewohnern von Ägypten? Haben nicht auch sie gesehen, wie die Höchsten im Lande gestraft wurden und jedes Haus in Trauer versetzt ward? Haben sie aber deshalb aufgeatmet und sich getröstet gefühlt? Ganz gewiss nicht! Das sehen wir klar an dem, was sie nachher taten; als ob sie mit Feuerflammen gegeißelt worden wären, so drängten sie den König und zwangen ihn, das Volk der Hebräer ziehen zu lassen. Das ist wohl ein gar abgeschmackter Gedanke, zu glauben, etwas bereite einem Trost, wenn man mit vielen zu gleich gestraft wird; zu sagen: es geht mir eben, wie allen anderen auch! Aber was brauche ich denn die Hölle als Beispiel zu nehmen? Denke nur an diejenigen, die an Podagra leiden. Wenn die sich vor heftigen Schmerzen winden, da magst du ihnen tausend andere zeigen, die noch mehr zu leiden haben, sie achten gar nicht darauf. Weil sie eben vom Schmerze gefoltert sind, so vermögen sie dem Verstande nicht die Ruhe zu geben , an andere zu denken und darin Trost zu schöpfen. Nähren wir uns also nicht mit so eitlen Hoffnungen. Denn aus den Leiden der anderen Trost zu schöpfen, vermag man vielleicht noch, solange die Leiden nicht groß sind; wenn es aber einmal über ein gewisses Maß hinausgeht, wenn das Innere ganz von Stürmen durchtobt ist, und die Seele nicht einmal mehr sich selbst kennt, wo wird man da den Trost hernehmen?