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Auch die folgenden Worte bekunden, dass von den Pharisäern und ihrer Überlieferung die Rede ist. Der Herr fuhr nämlich fort: „Blinde sind sie und Führer von Blinden.“Hätte er vom Gesetze gesprochen, so würde er wohl gesagt haben: Es ist blind und ein Führer von Blinden. Seine Worte lauten aber nicht so, sondern: „Sie sind blind und Führer von Blinden“; so wendet er die Anschuldigung vom Gesetz ab und wälzt alles auf die Pharisäer. Um dann auch das Volk von ihnen abzuziehen, welches ihretwegen nahe daran war, in den Abgrund zu stürzen, fügt er hinzu: „Wenn aber ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in die Grube fallen.“ Es ist ein großes Unglück, blind zu sein; S. d732aber zweifach und dreifach ist die Schuld, wenn man blind ist und, ohne selbst einen Führer zu haben, sogar noch die Rolle eines Führers spielen will. Ist es schon gefährlich, wenn ein Blinder führerlos ist. um wieviel mehr noch, wenn ein Blinder den anderen Führer sein will. Was antwortet nun Petrus? Er sagt nicht: Wie verhält sich denn das, was du gesagt hast?„, sondern er stellt eine Frage, als wäre er ganz im unklaren. Er sagt auch nicht: Warum hast Du gegen das Gesetz gesprochen? Er fürchtet nämlich, man könnte von ihm glauben, er habe Ärgernis genommen; er sagt vielmehr, die Sache sei unklar. Es liegt jedoch auf der Hand, dass es sich für ihn nicht um eine Unklarheit handelte, sondern dass er Anstoß genommen hatte; denn die Worte enthielten ja gar keine Unklarheit. Deshalb tadelt ihn auch Christus mit den Worten:
V.16: “Nun seid auch ihr noch unverständig?„
Das Volk hatte zwar das Gesagte ebensowenig verstanden; aber die Jünger hatten auch noch Anstoß genommen. Deshalb suchten sie anfänglich eine Aufklärung, indem sie taten, als fragten sie der Pharisäer wegen; erst dann ließen sie davon ab, als sie seine schwere Drohung hörten und als er sagte: “Jegliche Pflanzung, welche mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerottet werden„, und: Sie sind Blinde und Führer von Blinden.“ Nur der allzeit ungestüme Petrus bringt es auch jetzt noch nicht über sich, zu schweigen; er sagt: „Erläutere uns dieses Gleichnis.“ Was tut nun Christus? Mit scharfem Tadel antwortet er: „Nun seid auch ihr noch unverständig?“
V.17: „Seht ihr es noch nicht ein?“
Mir diesen Worten tadelt er sie, um ihnen ihre vorgefaßte Meinung zu benehmen. Er blieb aber hierbei nicht stehen, sondern fügte noch das andere hinzu:
V.17: „Alles, was in den Mund hineinkommt, gelangt in den Bauch und wird in die Kloake befördert.
V.18: Was aber herauskommt aus dem Munde, geht von dem Herzen aus, und das verunreinigt den Menschen.
S. d733 V.19: Denn aus dem Herzen kommen die bösen Anschläge, Mordtaten, Ehebrüche, Unzucht, Diebstähle, falsche Zeugnisse, Lästerungen.
V.20: Und das ist es, was den Menschen verunreinigt. Mit ungewaschenen Händen aber zu essen, verunreinigt den Menschen nicht.“
Siehst du, wie scharf der Herr die Jünger tadelt? Daraufhin führt er zur Erklärung ein Beispiel aus der Natur an, um sie so auf den rechten Weg zu weisen. Die Worte: „Es gelangt in den Bauch und wird in den Abort ausgeworfen“, sind eben noch der niedrigen Denkweise der Juden angepaßt. Denn er sagt, es bleibt nicht, sondern es geht fort. Aber auch wenn es bliebe, würde es nicht unrein machen. Die Juden waren jedoch noch nicht imstande, das zu hören. Deshalb gewährte der Gesetzgeber1 so viel Zeit, als die2 inwendig bleibt; ist sie aber weggegangen, so wartet er nicht mehr, sondern befiehlt mit Rücksicht auf die zur Verdauung und Absonderung notwendige Zeit, am Abend sich zu waschen und rein zu sein. Das3 aber, was im Herzen vorgeht, sagt er, bleibt inwendig und verunreinigt nicht bloß solange es innen bleibt, sondern auch wenn es hervorkommt.
An erster Stelle erwähnt Christus die bösen Gedanken - das war besonders den Juden eigen - und da nimmt er den Beweis nicht mehr aus der Natur der Dinge, sondern von dem, was der Magen und das Herz hervorbringen, und davon, dass das eine bleibt, das andere nicht. Denn das, was von außen eingeht, geht auch wieder weg: was aber im Innern entsteht, verunreinigt euch, wenn es herausgeht, und zwar dann noch mehr. Doch waren sie, wie gesagt, noch nicht imstande, diese Darlegungen mit dem gehörigen Verständnis anzuhören. Markus berichtet, der Herr habe jene Worte gesprochen, um die Speisen für rein zu erklären; doch hat er nichts dergleichen angedeutet noch gesagt, solche Speisen zu essen, verunreinigt den Menschen nicht; denn sie hätten es noch nicht ertragen, wenn er so deutlich gesprochen hätte. Deshalb fügt er hinzu: „Mit ungewaschenen Händen essen, verunreinigt den Menschen nicht.“
S. d734Lernen wir darum, was den Menschen verunreinigt; lernen wir es und meiden wir es. Denn wir sehen, dass auch in der Kirche viele es so zu machen pflegen; dass ihnen gar sehr daran liegt, mit reinen Kleidern zu erscheinen und ihre Hände zu waschen, dass sie aber keinen Wert darauf legen, eine reine Seele Gott darzubringen. Das sage ich natürlich nicht, als wollte ich davon abhalten, die Hände oder den Mund zu waschen, sondern weil ich wünsche, dass man sich wasche, wie es sich geziemt, nämlich nicht allein mit Wasser, sondern auch mit den Tugenden an Stelle des Wassers. Die Unreinigkeit des Mundes besteht in: Fluchen, Gotteslästerung, Schmähung, Zornreden, Zoten, Spötteleien, Sticheleien. Bist du dir nicht bewußt, Derartiges berührt und mit solchem Schmutz dich befleckt zu haben, so darfst du getrost erscheinen; hast du aber solchen Unrat unzähligemale auf dich geladen, wie magst du da so töricht sein, die Zunge mit Wasser abzuspülen, während du auf derselben den verderblichen und schädlichen Schmutz mit dir herumträgst?